Wie schnell und wie hoch steigt der Meeresspiegel durch die globale Erwärmung? Diese Frage konnten Klimaforscher bisher noch nicht präzise beantworten. Jetzt ist ein internationales Wissenschaftlerteam bei der Lösung dieses Problems einen entscheidenden Schritt weitergekommen. Die Forscher ermittelten erstmals einen durchschnittlichen Anstieg des Meeresspiegels von 1,60 Metern innerhalb von 100 Jahren während der letzten Warmphase unseres Planeten vor circa 124.000 bis 119.000 Jahren.
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Aufgrund einer unterschiedlichen Konfiguration der Erdbewegung um die Sonne war das Klima damals wärmer als heute. Durch das Abschmelzen enormer Volumen des Grönland- und Antarktis-Eises erreichte der Meeresspiegel einen höchsten Stand von circa sechs Metern über dem heutigen, so die Wissenschaftler der Universitäten Tübingen, Southampton, Cambridge und New York in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Nature Geoscience“. Die neuen Resultate zeigen zum ersten Mal, wie schnell der Meeresspiegel diesen Höchststand erreichte.
Rotes Meer im Visier der Forscher
Mit Hilfe einer neuen Methode haben die Forscher versucht, eine Rekonstruktion des Meeresspiegelanstiegs für die letzte Warmzeit im Roten Meer zu erstellen. Zu dieser Zeit war es in Grönland etwa drei bis fünf Grad Celsius wärmer als heute. Eine ähnliche Erwärmung wird in 50 bis 100 Jahren erwartet. Die Analyse der Tiefseesedimente, die als Klimaarchiv benutzt wurden, ergab, dass der Meeresspiegelanstieg, bezogen auf den Eisvolumenverlust in Grönland und der Antarktis, tatsächlich sehr hoch war.
Die durchschnittliche Zunahme von 1,60 Metern innerhalb von 100 Jahren ist etwa zweimal so hoch wie das geschätzte Maximum des IPCC-Berichts zum Klimawandel und bietet daher ein mögliches Szenario, das im Extremfall eintreten könnte.
Für sichere Prognosen sind nach Angaben der Wissenschaftler aber weitere Daten über Klimaprozesse der Vergangenheit notwendig. Ebenso müssen dynamische Eisprozesse in die Modellrechnungen einbezogen werden, um Klimaveränderungen verstehen zu können.
IPCC-Prognosen zu niedrig?
„Heute wird eine zum Teil sehr aggressive Debatte über die Geschwindigkeit des Meeresspiegelanstiegs geführt. Unsere Ergebnisse sind starke Argumente dafür, dass die sich aus Modellrechnungen ergebenden Daten und damit die Prognosen, die im IPCC-Bericht zum Klimawandel (IPCC Fourth Assessment) stehen, zu niedrig sind.“, kommentiert Professor Eelco Rohling, Southampton, Erst-Autor der Studie die Ergebnisse.
„Dies könnte daran liegen, dass diese Abschätzungen hauptsächlich die Ausdehnung und das Abschmelzen des Eises an der Oberfläche berücksichtigen, nicht aber den Einfluss dynamischer Eisschichtenprozesse mit einbezogen haben. Bis heute sind keine zufriedenstellenden Daten vorhanden, die den Meeresspiegelanstieg in seiner vollen Komplexität erfassen und erklären könnten.“
Klimarekonstruktionen aus Tiefseesedimentkernen und deren Zusammensetzung, vorwiegend Mikrofossilien, sind seit vielen Jahren ein wichtiger Forschungsschwerpunkt der Mikropaläontologen am Institut für Geowissenschaften der Universität Tübingen. Die Basis dafür bildet eine ausgezeichnete Sammlung von Sedimentkernen aus der Region des Mittelmeers, des Roten und des Arabischen Meeres, die bei Ozeantiefbohrungen gewonnen wurden und in modernen Kühllagern in Tübingen aufbewahrt sind.
(idw – Universität Tübingen, 18.12.2007 – DLO)