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Klima

Riesenschritt für mehr Klimaschutz?

Bundesregierung beschließt Klimaprogramm

Das Bundeskabinett hat gestern das umfassendste Maßnahmenpaket zur Energie- und Klimapolitik in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beschlossen. Ein wesentliches Ziel ist es dabei unter anderem, den Einsatz erneuerbarer Energien in der Stromerzeugung und am Wärmemarkt bis 2010 mehr als zu verdoppeln. Das Paket sieht aber unter anderem auch mehr Energieeffizienz bei Gebäuden und die Einsparung von Energiekosten und Effizienzsteigerung beim Stromverbrauch vor.

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„Die Bundesregierung macht mit diesem Programm einen großen Schritt zur Erreichung des deutschen Klimaschutzziels, im Rahmen eines internationalen Abkommens die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent zu senken. Deutschland wird damit seiner Vorreiterrolle im Klimaschutz gerecht.“, erklärte der Sprecher der Bundesregierung, Ulrich Wilhelm. Und Bundesumweltminister Sigmar Gabriel ergänzte: „Wir bauen die erneuerbaren Energien massiv aus – sowohl beim Strom als auch bei den Kraftstoffen und der Wärmeenergie. Wir fördern die Energieeffizienz und verschärfen die energetischen Standards für Wohngebäude um 30 Prozent – davon sind auch Altbauten betroffen.“

14 Gesetze und Verordnungen

Das Klimapaket besteht aus 14 Gesetzen und Verordnungen und sieben weiteren Maßnahmen, die aus technischen Gründen erst im kommenden Mai formal umgesetzt werden können. „Ich bin ganz sicher, dass die heutigen Beschlüsse auch international als starkes Signal für mehr Klimaschutz verstanden werden wird. Deutschland kann bei der Weltklimakonferenz sehr glaubwürdig für konsequente Maßnahmen in den Industrie- wie Entwicklungs- und Schwellenländern werben. Denn mit unserem Paket zeigen wir, dass engagierter Klimaschutz machbar ist, ohne Wirtschaft und Verbraucher über Gebühr zu belasten.“, so Gabriel weiter

Im Haushaltsjahr 2008 stehen für die Klimapolitik insgesamt rund 3,3 Milliarden Euro zur Verfügung. Dies sind im gesamten Bundeshaushalt 1,8 Milliarden Euro mehr als im Haushalt 2005.

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Ziele nicht erreichbar

Das Klimaprogramm der Bundesregierung hat bei den Umweltschutzorganisationen in Deutschland ein geteiltes Echo ausgelöst. Mit dem gestern verabschiedeten Klimaschutzpaket wird die Bundesregierung ihre selbst gesteckten Ziele beim Klimaschutz nicht erreichen. Das ist die Einschätzung von Greenpeace, das weitergehende Maßnahmen fordert. Greenpeace hatte die Pläne bereits vorab in einer Studie bewerten lassen. Das Ergebnis: Die angestrebte Verringerung der jährlichen Treibhausgasemission um 40 Prozent bis zum Jahr 2020 wird verfehlt. Statt 270 Millionen Tonnen CO2 jährlich werden mit den geplanten Maßnahmen laut der Studie voraussichtlich nur etwa 160 Millionen Tonnen CO2 vermieden. Das entspräche einem Minderungssziel von nur rund 30 Prozent. Insbesondere die Planung neuer Kohlekraftwerke trägt dazu bei, dass die Ziele verpasst werden, so Greenpeace.

„Viele der Maßnahmen haben unverbindlichen Charakter und wurden in der Abstimmung zwischen den Ministerien deutlich verwässert“, erklärt Andree Böhling, Klima-Experte von Greenpeace. Es gibt klare Defizite beim Ausbau Erneuerbarer Energien im Wärmebereich, beim Ersatz klimaschädlicher Nachtspeicherheizungen und bei Effizienzvorgaben für den Gebäudebestand. „Mit dem Klimaschutzprogramm der Bundesregierung hat der Weg zur Reduzierung der CO2-Emissionen in Deutschland erst begonnen. Wer sagt, wir wären mit diesen Maßnahmen bereits am Ziel, betreibt Schönfärberei.“

Nur ein erster Schritt

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Auch der WWF und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sehen im Energie- und Klimaprogramm lediglich einen ersten Schritt zum Erreichen der deutschen Klimaschutzziele. Der „Klimarhetorik“ von Kanzlerin Merkel müssten jetzt in entscheidenden Bereichen weitergehende Maßnahmen folgen. Vor allem auf EU-Ebene sei die deutsche Regierung beim Klimaschutz wiederholt auf die Bremse getreten. So beim Festlegen von Spritverbrauchslimits für Pkw und der Einbeziehung des Flugverkehrs in den Emissionshandel.

Der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger: „Manches im Energie- und Klimaprogramm klingt gut. Die Bundesregierung versäumt es jedoch, das ganze Potential zur Minderung der Treibhausgase auszuschöpfen. Viele heiße Eisen werden nicht angepackt, Konflikte mit der Industrie scheuen sowohl die Kanzlerin als auch ihre Minister. Notwendig wären ein Baustopp für Kohlekraftwerke, das Tempolimit auf Autobahnen, die Abschaffung der Steuervergünstigungen für große Dienstwagen und die Einführung einer Kerosinsteuer. Unterbleibt dies alles, wird das Ziel von minus 40 Prozent bis 2020 sicher verfehlt und Deutschland steht am Ende als Klimalügner am Pranger.“

Positives Signal

Erst im nächsten Jahr, wenn die auf kommenden Mai verschobenen Maßnahmen beschlossen wurden, kann nach Meinung des WWF gesagt werden, ob Deutschland ambitionierte Klimaschutzpolitik betreibe und die avisierte Emissionsminderung von 40 Prozent bis 2020 gegenüber 1990 erreichen kann. Wichtig sei, dass im jetzigen Klimapaket für die Maßnahmen kalkuliert sei, welchen Beitrag sie zur Verringerung des CO2-Ausstoßes in Deutschland beitragen. Leider habe man versäumt, hier die nötige Detaillierung vorzunehmen.

„Statt ganze Maßnahmenbündel müssen Einzelmaßnahmen quantifiziert werden. Zentral ist eine transparente und zeitnahe Überprüfung, ob die Maßnahmen zu den gesetzten Zielen führen. Der vorgesehene Zwei Jahres Rhythmus ist zu lang“, kritisiert Regine Günther, die Leiterin des Klima- und Energiebereichs des WWF. Es müsste jährlich ein genaues Monitoring durchgeführt werden.

Zugleich fordert der WWF, dass an dieses Monitoring klare und nachprüfbare Zwischenziele formuliert werden. Sobald diese Ziele verfehlt werden, müsse umgehend nachgebessert werden. Insgesamt sei das Paket ein positives Signal, auch wenn es nach wie vor deutliche Schwachstellen aufweise. Dazu gehören vor allem die Novelle der Energieeinsparverordnung und das fehlende Verbot von Nachtstromspeicherheizungen.

Die Ziele und Maßnahmen im Einzelnen

Die Gesetzes-/Verordnungs-Entwürfe des Energie- und Klimaprogramms definieren Ziele bis 2020 und unterlegen dies mit konkreten Maßnahmen insbesondere:

  • Kraft-Wärme-Kopplung (KWK): bis 2020 Verdopplung des Anteils an der Stromproduktion von derzeit rund 12 auf rund 25 Prozent – zum Beispiel durch Förderung von Anlagen ohne Größenbeschränkung sowie Aus- und Neubau von Wärmenetzen (Novelle des KWK-Gesetzes) und Selbstverpflichtung der Wirtschaft.
  • Ausbau der Erneuerbaren Energien (EE) im Strombereich: Ausbau von derzeit rund 12 auf 25 bis 30 Prozent bis 2020. Hierfür werden unter anderem die Vergütungen für Offshore-Windparks neu geregelt (Novelle des EE-Gesetzes).
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  • Förderung der Erneuerbaren Energien im Wärmebereich: Ausbau auf 14 Prozent bis 2020. Ab 2009 ist es unter Wahrung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit Pflicht, in Neubauten erneuerbare Energien zu verwenden. Bei Altbauten wird die Verwendung nicht vorgeschrieben, der Einsatz erneuerbarer Energien wird aber großzügig gefördert. Insgesamt wird die Bundesregierung die finanzielle Förderung auf bis zu 500 Mio. Euro pro Jahr bis 2012 erhöhen (EE-Wärme-Gesetz).
  • Biogaseinspeisung ins Erdgasnetz wird deutlich erleichtert und wirtschaftlicher (Novelle der Gasnetzzugangs- und Netzentgeltverordnung). Bis 2030 ist ein Anteil von 10 Prozent Biogas möglich. Wir erhöhen die Energieversorgungssicherheit durch Senkung der Erdgasimporte.
  • Bessere Netzintegration der Erneuerbaren Energien – unter anderem mit Regelungen für vordringliche Leitungsneubauvorhaben sowie gebündelten Zulassungsverfahren für Seekabel zur Anbindung von Wind-Offshore-Anlagen (Eckpunkte Netzausbaupaket).
  • Einsparung von Energiekosten und Effizienzsteigerung beim Stromverbrauch: Das Strom-Messwesen wird liberalisiert. Das ermöglicht und fördert innovative Messverfahren und lastabhängige, zeitvariable Tarife (Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes und in einem zweiten Schritt eine neue Verordnung).
  • Mehr Energieeffizienz bei Gebäuden: Stufenweise, wirtschaftlich vertretbare Erhöhung der energetischen Anforderungen (um durchschnittlich 30 Prozent 2009, nach 2012 erneut in vergleichbarer Größenordnung); Austausch von Nachtstromspeicherheizungen (1. Tranche 2020; Novelle der Energieeinsparverordnung).
  • Verstetigung bestehender und Start neuer Förderprogramme zur energetischen Sanierung von Gebäuden und sozialer Infrastruktur: Das bestehende CO2-Gebäudesanierungsprogramm wird weiterentwickelt und auf 1 Milliarde Euro pro Jahr verstetigt. Zudem wird das Energiesparpotenzial in städtischen Strukturen und sozialer Infrastruktur stärker ausgeschöpft (CO2-Gebäudesanierungsprogramm, Programm zur Sanierung von Bundesgebäuden, Investitionspakt Bund-Länder-Kommunen).
  • Förderung von energieeffizienten Geräten und Dienstleistungen: Die Bundesverwaltung wird künftig energieeffiziente Geräte und Dienstleistungen in ihrer Beschaffungspolitik bevorzugen. Dies gibt nicht nur ein deutliches Signal für Hersteller und Importeure, sondern spart darüber hinaus Geld für Strom und Brennstoffe. Die Bundesregierung wird sich auch in der EU dafür einsetzen, dass anspruchsvolle Standards für Energieeffizienz nach dem Top-Runner-Ansatz gesetzt werden (Leitlinien zur bevorzugten Beschaffung durch die Bundesbehörden, Umsetzung der Öko-Design-Richtlinie).
  • Biokraftstoffe: Ausbau bis 2020 auf etwa 20 Volumenprozent (entspricht energetisch 17 Prozent). Gleichzeitig wird sichergestellt, dass die hierfür benötigte Biomasse nicht aus Ökodumping stammt, sondern Mindestanforderungen an eine nachhaltige Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen erfüllt. Zudem müssen Biokraftstoffe ein bestimmtes Potenzial zur Verminderung von Treibhausgasen aufweisen (Novelle des Biokraftstoffquotengesetzes und Nachhaltigkeitsverordnung).
  • Umstellung der Kfz-Steuer von Hubraum auf Schadstoff- und CO2-Basis für Neufahrzeuge ab 2009 (Eckpunkte als Vorschlag an die Bundesländer).
  • Reduktion der Emissionen fluorierter Treibhausgase aus mobilen und stationären Kühlanlagen (Chemikalienklimaschutzverordnung).
  • Neue Initiativen in der Energieforschung und Innovation: Schwerpunkte: Klimaschutz, Energieeffizienz, erneuerbare Energien und CO2-Speicherung.

(Bundesregierung online, BMU, WWF, Greenpeace, BUND, 06.12.2007 – DLO)

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