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Evolution

Fischer spielen Darwin

Evolution durch globale Fischereiaktivitäten des Menschen?

Die weltweite Fischerei verändert womöglich das Erbgut der Meeres- und Süßwasserfische. Darauf hat jetzt ein internationales Forscherteam in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science hingewiesen. Danach wirken die menschlichen Aktivitäten als Evolutionsfaktor vor allem bei stark befischten Arten, und zwar stärker und schneller als bisher gedacht.

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Der Mensch greift seit Jahrtausenden bewusst in die Evolution von Tieren und Pflanzen ein: Er züchtet beispielsweise Getreide und Nutztiere oder einfach nur besonders schöne Blumen. Er unternimmt jedoch auch unbeabsichtigte Eingriffe in die genetische Ausstattung von Flora und Fauna, die mit großen Risiken verbunden sind, beispielsweise die zunehmende Resistenz von Krankheitserregern gegen Antibiotika.

Einen derartigen Selektionsprozess durch die globale Fischerei legt eine Studie von Wissenschaftlern um Professor Robert Arlinghaus vom Leibniz-Institut für Gewässerökolgie und Binnenfischerei (IGB) nahe. Der Fischereiwirtschaft drohen dadurch erhebliche Schäden, wenn zum Beispiel die die Fischerei überlebenden Fische genetisch bedingt früher geschlechtsreif werden und als Folge der früher in die Fortpflanzung investierten Energie insgesamt kleiner bleiben. Im Durchschnitt kleinere Fische bringen weniger Geld oder werden von Anglern weniger begehrt.

Veränderungen nicht umkehrbar?

Die Konsequenzen der Fischerei-induzierten Evolution könnten auch aus biologischer Sicht relevant sein, weil sich durch die Veränderung der Körpergröße beispielsweise Nahrungsnetzbeziehungen und andere ökologische Prozesse ändern könnten. „Wir brauchen einen evolutionsbiologischen Ansatz für das Fischerei-Management“, sagt Arlinghaus, und spricht damit aus, was die gesamte Forschergruppe denkt.

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Arlinghaus hat zusammen mit seinen Kollegen einen solchen Ansatz für Binnengewässer entwickelt. Er betrachtet die Angelfischerei als möglichen Selektionsfaktor auf die Süßwasserfischbestände, etwa Hecht, Zander und Barsch. Was bei heimischen Seen und Flussläufen als ein beherrschbares Problem erscheint, das etwa mit Besatzmaßnahmen oder stringenteren Entnahmebestimmungen zu korrigieren ist, ist im Maßstab der Weltmeere nahezu unkalkulierbar. Arlinghaus fasst die Kernbotschaft der Science-Studie zusammen: „Die Frage ist nicht, ob Fischereidruck die Evolution der Arten beeinflusst, sondern wie schnell.“ Es müsse bedacht werden, dass Fischerei-induzierte genetische Veränderungen womöglich nicht umkehrbar sind.

Fischerei Todesursache Nummer eins

Die Art und Weise der Befischung von Süß- und Salzwasserfischen sei vergleichbar einer Zucht durch Auslese. „Allerdings mit unbeabsichtigten Züchtungsergebnissen“, fügt Arlinghaus hinzu. Kommerzielle Fischerei ist für viele Spezies weltweit die Todesursache Nummer eins geworden. Teilweise übersteigt die Sterblichkeitsrate durch Fang die natürliche Sterblichkeit um das Vierfache. Die Folgen: Fische werden schneller geschlechtsreif, investieren mehr Energie in die Reproduktion, bleiben im Mittel kleiner und zeigen physiologische und verhaltensbasierte Änderungen. Durch die Evolution steigt auch der Anteil der „scheuen“, sich eher dem Fischfang entziehenden Fische, mit ungeahnten Konsequenzen für die natürliche Reproduktion (und das Anglerglück).

Obgleich noch immer nicht vollständig geklärt ist, ob diese Anpassungen in jedem Falle genetisch bedingt sind oder alleine ein Ausdruck der Veränderung von Nahrungs- und anderen Umweltbedingungen sind, erscheint Fischerei-induzierte Evolution in vielen Fällen als die plausibelste Erklärung der beobachteten Veränderungen. Im Kern geht es also nicht nur um ein interessantes wissenschaftliches Phänomen, sondern um eine globale Bedrohung für die Fischbestände und die Fischereiwirtschaft.

Empfindliche Bestände identifizieren

Was aber kann die Wissenschaft dagegen tun? Die Autoren in Science schlagen vor, das Management der Fischbestände in den Weltmeeren und andernorts auf einem evolutionsbiologischen Ansatz aufzubauen. Die entsprechenden Techniken werden derzeit in mehreren Gruppen weltweit erforscht. Arlinghaus: „Das würde zunächst einmal helfen, besonders empfindliche Bestände zu identifizieren.“ In der Folge sei es wichtig festzustellen, welche Veränderungen genau der Fischereidruck hervorrufe und welchen Einfluss sie auf den Wert der Fischbestände für die Fischereiwirtschaft und die hobbymäßige Angelfischerei haben.

Mittels populationsdynamischer Modelle könnte man dann Szenarien berechnen, mit welchen Managementinstrumenten der Fischerei-induzierten Evolution Einhalt geboten werden könnte. Das wiederum könne dazu beitragen, die Fischbestände so zu managen, dass sie langfristig mit hohem Ertrag für den Menschen genutzt werden können.

Die Fittesten sterben eher

Derzeit sei es so, dass gerade jene Individuen, die die natürlichen Gefahren schadlos überstanden haben und als Folge groß und fruchtbar geworden sind, am Haken oder im Fischernetz landen. „Das hat schwer prognostizierbare Konsequenzen für die langfristige Entwicklung und den Erhalt natürlicher Fischbestände“, sagt Arlinghaus und fügt hinzu: „Momentan heißt es in vielen befischten Beständen nicht ‚die von Natur aus Fittesten leben länger‘, sondern ,die Fittesten sterben eher‘.“

(idw – Forschungsverbund Berlin, 23.11.2007 – DLO)

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