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Neurobiologie

Dick oder dünn: Hirn entscheidet mit

Regelkreis kontrolliert den Fettstoffwechsel direkt

Das Gehirn kontrolliert die Fettspeicherung nicht nur über die Wahrnehmung von Hunger und Sättigung, sondern auch direkt und unabhängig von der Nahrungsaufnahme. Dies ist das Ergebnis einer neuen internationalen Studie über die die Wissenschaftler in der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift Journal of Clinical Investigation berichten. Wie die Forscher erstmals auf molekularer Ebene an Nagern nachwiesen, reguliert das Melanocortin-System, ein neuroendokriner Regelkreis im Gehirn, wie viel Zucker in Fett umgewandelt, in Fettzellen gespeichert oder im Muskel verbrannt wird.

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Wie die Wissenschaftler um Matthias Tschöp vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) herausfanden, tut das System dies direkt, schnell und unbeeinflusst von der Nahrungsaufnahme. Eine genaue Kenntnis der molekularen Zusammenhänge könnte deshalb neue Pharmakotherapien zur Behandlung von krankhaftem Übergewicht ermöglichen.

In Staaten mit „westlichem“ Lebensstil nimmt die Zahl übergewichtiger Menschen rapide zu. Nach Angaben des Bundesernährungsministeriums sind in Deutschland mittlerweile circa 37 Millionen Erwachsene und rund zwei Millionen Kinder und Jugendliche zu dick. Hierdurch steigt auch die Zahl der Menschen, die an Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder bestimmten Krebsformen leiden. Bislang gibt es jedoch noch keine sicheren Medikamente, die Übergewicht dauerhaft verhindern und so den damit verbundenen Erkrankungen wirksam vorbeugen.

„Das Melanocortin-System ist ein naheliegender Angriffspunkt für Pharmakotherapien“, erklärt Hans-Georg Joost, wissenschaftlicher Direktor des DIfE. Seit langem wisse man, dass das Gehirn als übergeordnetes Organ das Energiegleichgewicht des Körpers kontrolliert, also die Balance zwischen Kalorienaufnahme und Kalorienverbrauch bestimmt. Bislang sei aber nicht bekannt gewesen, dass es auch darüber entscheidet, ob Fett oder Zucker zur Energiegewinnung genutzt wird.

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Melanocortin-System kontrolliert Fettstoffwechsel

Wie die vorliegende Studie nun erstmals auf molekularer Ebene zeigt, reguliert das Melanocortin-System das Gleichgewicht zwischen der zellulären Zuckeraufnahme, der Fettsynthese, der Fettspeicherung und dem Fettabbau in der Leber, im Muskel und im Fettgewebe. Eine erhöhte Aktivität des Systems stimulierte bei Versuchstieren die Fettverbrennung. Dagegen führte eine auf pharmakologischem oder genetischem Weg erzeugte verringerte Aktivität zu einer verstärkten Fettspeicherung. Dabei war die Zunahme der Fettmasse unabhängig von der Nahrungsaufnahme und ließ sich auf folgende Stoffwechseländerungen

zurückführen:

– eine verstärkte Fettsynthese in der Leber,

– einen verminderten Energieverbrauch in den Muskeln (es wurde weniger Zucker/Glucose aufgenommen),

– eine erhöhte Insulinsensitivität des weißen Fettgewebes,

– eine erhöhte Fett- und Zuckeraufnahme ins weiße Fettgewebe, wodurch die Fettsynthese in diesem Gewebe stimuliert wurde

Ergebnisse auf den Menschen übertragbar?

Zusätzlich untersuchte Tschöps Team den Energiestoffwechsel von Menschen, die aufgrund einer genetisch bedingten Störung des Melanocortin-Systems an massivem Übergewicht leiden. Das Ergebnis dieser Untersuchung lässt annehmen, dass die Gewichtszunahme der Betroffenen auf den gleichen oder ähnlichen Mechanismen beruht, die die Forscher bereits bei den Nagern beobachteten.

„Unsere Resultate erklären damit nicht nur, warum eine verminderte Melanocortin-System-Aktivität sogar ohne eine erhöhte Nahrungsaufnahme zu Übergewicht führen kann, sondern sie zeigen auch neue Ansatzpunkte für die Entwicklung wirksamerer Medikamente zur Kontrolle von Übergewicht auf. Diese werden dringend benötigt, um dem weltweit zunehmenden Problem Übergewicht Herr zu werden“, so Tschöp.

(idw – Deutsches Institut für Ernährungsforschung, 21.09.2007 – DLO)

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