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Biotechnologie

Mini-RNAs: über die Hintertür in die Zelle

Biologen mit wichtigen neuen Erkenntnissen zur RNA-Interferenz

Die RNA-Interferenz (RNAi) ist ein natürlicher Mechanismus in höher entwickelten Zellen, mit dem einzelne Gene gezielt still gelegt werden. In der modernen Biologie und Medizin wird sie vermutlich schon bald eine wichtige Rolle spielen, da auf diese Weise Krankheiten effektiv behandelbar sind. Doch bisher konnte die RNAi in Säugetieren nur beschränkt genutzt werden, da der Mechanismus für die Aufnahme wichtiger kleiner RNAs bisher unbekannt war. In einer neuen Studie über die sie in der Fachzeitschrift Nature Biotechnology berichten, haben Schweizer Biologen dieses Rätsel nun gelöst.

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Es begann ganz blumig: In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts entdeckten norwegische Forscher, dass zusätzliche Kopien eines bestimmten Gens in Petunien, dessen Aktivität hemmt, statt, wie angenommen, verstärkt. Einige Jahre später fand man heraus, dass der Mechanismus auf dem Abbau von Boten-RNA in den Zellen beruht. Ende der 90er Jahre schließlich etablierten die Nobelpreisträger Andrew Fire und Craig Mello die Technik der RNA-Interferenz, bei der doppelsträngige RNA zu einer effizienten und spezifischen Genabschaltung führt. Für die Studien dazu verwendeten die Wissenschaftler den Fadenwurm C. elegans.

Aufnahmemechanismus unklar

Bei dem Versuch, die von Mello und Fire verwendete Strategie auf Wirbeltiere zu übertragen, traten jedoch in der Folge erhebliche Probleme auf. Insbesondere die Verabreichung von kleinen, so genannten siRNAs (small interfering RNAs) in Tieren bereitete Mühe. Man konnte wohl siRNAs mit verschiedenen Methoden wie Hochdruck-Injektionen oder in Verbindung mit Cholesterin erfolgreich verabreichen, doch die dahinter stehenden Mechanismen blieben unklar.

Markus Stoffel, Professor am Institut für Molekulare Systembiologie der ETH Zürich, ist es nun zusammen mit Chemikern der Firma Alnylam gelungen, den Mechanismus für die Aufnahme von siRNA in Verbindung mit Fettsäuren in Säugern aufzuklären. Die neue Studie stellt unter anderem die Grundlage für mögliche siRNA-Therapien dar. Denn Stoffel zeigte, dass sich siRNA wirksam an verschiedene Fettsäuren koppeln lässt.

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Fettsäuren im Visier

Stoffel und sein Team wandten sich chemisch modifizierten siRNAs in Verbindung mit Cholesterin zu, nicht weil die auf diesen Verbindung basierende Methode besonders effizient war, sondern weil sie am wenigsten Nebenwirkungen hat. Als erstes wollten die Forscher wissen, ob sich siRNA neben Cholesterin auch an andere lipophile Stoffe binden lässt und dabei zu einer Reduktion der Aktivität eines Zielgens in der Leber führt. Es zeigte sich, dass es mehrere solche Fettsäuren gibt.

Doch an was binden all diese mit so genannte lipophilen Substanzen konjugierten RNAs im Blut? Die ETH-Forscher fanden heraus, dass die Bindungspartner je nach verwendeter Fettsäure die bekannten Cholesterintransporter High Density Lipoproteine (HDL) beziehungsweise Low Density Lipoproteine (LDL) wie auch das im Blut überall vorhandene Albumin sind. Ohne diese Lipoprotein-Partikel kommt es, wie aus weiteren Experimenten hervorging, zu keiner Aufnahme der siRNAs ins Gewebe.

Eine andere Tür in die Zelle

In einem Zusatzexperiment demonstrierten die Wissenschaftler, dass die Aufnahme erheblich effizienter gemacht werden kann, wenn man die siRNA-Fettsäuren-Moleküle vor der Verabreichung bereits fest mit HDL und LDL verbindet. Zudem fand Stoffels Team heraus, dass je nach dem ob ein siRNA-Fettsäure-Molekül an HDL oder LDL gebunden ist, die Aufnahme in verschiedene Gewebe bevorzugt wird: Alle LDL-Verbindungen lösen Reaktionen in der Leber aus, HDL-Verbindungen aber auch im Darm oder den Nieren.

Der letzte Befund wies darauf hin, dass die Aufnahme über die Rezeptoren von HDL und LDL läuft. Diese Annahme belegten die Forscher, indem sie die Rezeptoren inaktivierten, was zur Folge hatte, dass keine Aufnahme mehr stattfand. So klar der Befund war, löste er bei Stoffel doch eine gewisse Irritation aus. Er konnte sich schlecht vorstellen, dass die siRNAs über den normalen Aufnahmeweg wie HDL und LDL in die Zelle gelangen. Denn dieser führt in das zelleigene Verdauungssystem mit Lysosomen, welches die siRNAs abbauen würde. Wie können aber die siRNA diesen Abbau umgehen? Stoffel kam zum Schluss, sie nehmen einfach eine andere Türe in die Zelle. Die HDL- und LDL- Rezeptoren würden also nur als Andockstationen fungieren und nicht als Eingangsportal.

Was wiederum könnte aber die alternative Türe sein? Die ETH-Forscher erinnerten sich daran, dass beim Wurm C.elegans ein Genprodukt Sid1 vorkommt, welches notwendig ist für die zelluläre Aufnahme von siRNA. Vom entsprechenden Gen gibt es auch ein homologes bei den Säugetieren. Indem sie dieses inaktivierten, zeigten die Wissenschaftler, dass dieses auch bei den Säugern benötigt wird. Insgesamt ergibt sich aus allen Befunden ein Mechanismus für siRNA-Verabreichung, der mit einer Bindung von siRNAs an bestimmte Fettsäuren beginnt. Diese Verbindung wird an lipophilen Proteinen gekoppelt, welche zu einem Andocken an die Gewebezellen führen. In der Nähe der Dockstation befindet sich dann die Türe, welche den siRNA-Fettsäuren-Molekülen den Eintritt gewährt.

Technik verbessern

Mit ihrer Arbeit hätten sie die wichtigsten Elemente für den Aufnahmemechanismus bestimmen können, meint Stoffel. Es sei aber sehr wahrscheinlich, dass noch weitere Moleküle eine Rolle spielen. Da man jetzt aber erstmals einen Einblick in den Mechanismus habe, könne man gezielt die Technik verbessern. Stoffels Gruppe will beispielsweise in einem nächsten Schritt herausfinden, ob man HDL und LDL durch künstliche Proteine oder lipidreiche Partikel ersetzen kann. Grundsätzlich habe die Technik das Potenzial, um gentherapeutisch verwendet zu werden.

Doch auch der Grundlagenforschung öffnet die Bestimmung der siRNA-Türe neue Türen. Anstelle von siRNA könnte man wahrscheinlich auch miRNAs, einer weitere Gruppe von kleinen RNAs, so einschleusen. Derselbe Mechanismus sollte zudem für miRNA-Inhibitoren funktionieren. Da miRNA zunehmend „verdächtigt“ werden, in der Natur eine entscheidende Rolle bei der Genregulation einzunehmen, könnte deren gezielte Verabreichung oder Inhibition ganz neue Einsichten liefern.

(idw – ETH Zürich, 18.09.2007 – DLO)

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