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Biologie

Zellskelett schnürt Bündel

Physikalische Prozesse im Zytoskelett ergründet

Ohne ihr Stützskelett wäre Zellen weder stabil noch zur Fortbewegung fähig. Jetzt haben Forscher herausgefunden, was physikalisch bei verschiedenen Bewegungen im Zytoskelett geschieht. Damit schufen sie nicht nur eine wichtige Grundlage für das Verständnis der mechanischen Eigenschaften von Gewebezellen, auch ermöglichen auch praktische Anwendungen beispielsweise bei der Entwicklung neuer Materialien oder medizinischer Untersuchungsmethoden.

Grundgerüst und Antriebsmotor von Zellen

Den mechanischen Aufbau von tierischen Zellen kann man sich wie den eines Luftschiffs vorstellen. Die äußere Hülle, die Zellmembran, wird im Inneren der Zelle von einem Gerüst getragen und stabilisiert, dem Zytoskelett. Es besteht aus nur wenige Nanometer dünnen Fasern, die miteinander zu einem Netz verwoben sind. Als Baustoff dienen so genannte Bio-Polymere. Diese weisen wie die Polymere in gewöhnlichen Kunststoffen eine kettenförmige Struktur auf und ähneln diesen auch in ihren Eigenschaften.

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Das Zytoskelett einer Zelle gibt ihr jedoch nicht nur Stabilität gegen Krafteinwirkung von außen, es spielt auch eine entscheidende Rolle bei der Fortbewegung der Zelle. Dabei verlagert sich das Zytoskelett, so dass in Fortbewegungsrichtung vorübergehend ein Fortsatz, eine Art Arm, entsteht. Auf der „Rückseite“ wird dafür Material abgebaut. Durch diese Umbaumaßnahme bewegt sich das Zytoskelett insgesamt nach vorne, und mit ihm die ganze Zelle. Eine derartige Fortbewegung findet zum Beispiel statt, wenn sich bei einem Embryo Organe entwickeln oder Zellen bei der Wundheilung an vorbestimmte Orte wandern.

Bündelbildung bringt Stabilität

Um sich in dem umgebenden Gewebe durchzusetzen, muss das Zytoskelett jedoch stabil genug sein. Diese Stabilität kann nur erreicht werden, wenn die einzelnen Biopolymer-Fasern zu Bündeln verklebt sind – vereint sind die Elemente stärker. Eine zentrale Rolle spielt dabei der „Klebstoff“, der für diese Bündelung sorgt, so zum Beispiel das Bindeprotein Fascin. Ausgehend von dem elastischen Verhalten einzelner Biopolymer-Bündel ist es einer Forschergruppe um Professor Andreas Bausch an der TU München nun gelungen, die Mechanik von solch einem Netzwerk mit physikalischen Methoden zu erklären. Eine wichtige Grundlage waren dabei die theoretischen Berechnungen der Arbeitsgruppe von Professor Erwin Frey von der Ludwig- Maximilians-Universität München (LMU). Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Physical Review Letters“ erschienen.

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Menge des Klebstoffs entscheidend

Als Testsubstanz haben die Forscher aus dem Biopolymer Aktin und dem Bindeprotein Fascin ein kontrolliertes Modellsystem aufgebaut und auf die mechanischen und strukturellen Eigenschaften hin untersucht. Wichtigstes Ergebnis: abhängig von der Konzentration des „Klebstoffs“ Fascin kann das Biopolymer-Netzwerk zwei verschiedene strukturelle Zustände annehmen. Im ersten Zustand liegen noch keine Aktin-Bündel vor, und eine Verformung wirkt sich gleichermaßen, „affin“, in allen Bereichen des Netzwerks aus. Es können allerdings keine stabilen Strukturen ausgebildet werden.

Im zweiten Zustand dagegen wird eine Verformung nicht mehr gleichmäßig auf alle Regionen des Netzwerks übertragen, man spricht von „nicht-affinen“ Verformungen. Diese Art der Verformung wurde bisher nur vorhergesagt und konnte nun erstmals beobachtet und beschrieben werden. Bei ihr besteht das Zytoskelett-Netzwerk ausschließlich aus stabileren Aktin-Bündeln, die jedoch erst gebildet werden, sobald eine bestimmte Konzentration des Klebstoffs Fascin überschritten wird. So können Zellen auf biochemischem Wege die Mechanik lokal auf ihre Bedürfnisse einstellen.

Neue Materialien, Diagnosemethoden und Therapien

Den Wissenschaftlern ist es damit gelungen, ausgehend vom elastischen Verhalten einzelner Aktin-Bündel das Verhalten eines komplexen Netzwerks aus diesen Fasern zu erklären. Die Möglichkeit, erstmals makroskopische Eigenschaften solcher Netzwerke mit der Verformung auf der Nanometerskala erklären zu können, stellt einen wesentlichen Schritt in den Bemühungen dar, funktionale Module von Zellen unter Laborbedingungen nachzubilden und quantitativ zu verstehen. Dies führt zu einem grundlegenden Verständnis des mechanischen Verhaltens tierischer Gewebezellen und ihrer Fortbewegungsmechanismen. Diese sind nicht nur in vielen physiologischen Prozessen, wie Zellteilung oder Wundheilung von größter Bedeutung, sondern auch für die Differenzierung von Stammzellen.

Gleichzeitig eröffnen sich damit ganz neue Möglichkeiten zur Herstellung neuartiger Werkstoffe anhand des biologischen Vorbildes, etwa für Implantate oder Funktionswerkstoffe mit herausragenden mechanischen Eigenschaften. Auf der anderen Seite können von dem genauen Verständnis der Zellmechanik auch die medizinische Diagnostik und die therapeutische Beeinflussung krankhafter Prozesse im Körper profitieren.

(Technische Universität München, 28.08.2007 – NPO)

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