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Neurobiologie

Schnelles Denken durch Teamarbeit

Membranproteine der Nervenzellen wirken im Verbund

Das virtuelle Modell zeigt den Aufbau der Syntaxin-1-Proteincluster. Sie sind in der Membran einer Nervenzelle verankert und ragen weit ins Innere der Zelle. Einzelne Syntaxin-1-Proteine wechseln zwischen den verschiedenen Clustern hin und her. © Rammner, Kutzner / MPIbpc

Individualisten sind die Membranproteine von Nervenzellen eher selten, Zusammenarbeit wird großgeschrieben. Wie sich diese Proteine aktiv zu Gruppen zusammenschließen, berichten Göttinger Forscher jetzt in „Science“. Diese Teamarbeit könnte ein entscheidender Trick der Natur sein, um Denkprozesse im Gehirn kontrollierter – und damit schneller ablaufen zu lassen.

Nervenzellen kommunizieren miteinander über so genannte Synapsen, an denen zwei benachbarte Zellen einen Kontakt ausbilden. Die „sendende“

Zelle produziert winzige Bläschen („Vesikel“) mit Botenstoffen. Diese verschmelzen mit der Membran und setzen dabei ihre chemischen Botenstoffe frei, wodurch die „empfangende“ Nachbarzelle aktiviert wird. Vermittelt wird diese Verschmelzung durch SNARE-Proteine, die auf der Nervenzellmembran sitzen. Für diese Aufgabe organisieren sie sich in Gruppen, auch Cluster genannt. Wie sich die einzelnen Proteine jedoch zu einer Gruppe zusammenfinden, darüber war bis jetzt nur wenig bekannt.

Selbstorganisation statt Fremdeinwirkung

Bisher wurde angenommen, dass die Membranproteine dabei auf die Hilfe fremder Proteine oder Lipide angewiesen sind. „Wir konnten nun zeigen, dass sich die Membranproteine vielmehr selbst organisieren, indem sie miteinander wechselwirken“, erklärt Projektleiter Thorsten Lang vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen. „Als molekulare Plattformen stehen sie bereit, damit Vesikel schnell andocken und dadurch Signale rasch weitergeleitet werden können.“

Zu diesem überraschenden Ergebnis gelangten die Forscher, indem sie unterschiedliche Methoden und Ansätze kombinierten, denn so ohne weiteres lassen sich die SNARE-Proteine in Aktion nicht beobachten. „Uns hat besonders interessiert, was die Proteine bewegt, sich zusammen zu tun, und wie flexibel diese Cluster hinsichtlich der Anzahl ihrer Proteine sind“, erläutert Lang. Dazu haben sich die Wissenschaftler das Verhalten eines bestimmten SNARE-Proteins, des Syntaxin-1, genauer angeschaut.

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Tausend Cluster auf einem Haar

Doch sind Syntaxin-1-Cluster in der Zelle so klein und zahlreich, dass man sie unter einem gewöhnlichen Lichtmikroskop nicht einzeln ausmachen kann. Erst mit Hilfe der am Institut entwickelten ultra- hochauflösenden STED-Mikroskopie konnten die Wissenschaftler die einzelnen Syntaxin-1-Büschel sehen und ihre Größe bestimmen – ein Cluster misst gerade ein Tausendstel des Durchmessers eines einzelnen Haares.

Durch Kombination von Experiment und Computer-Simulation konnten die Forscher schließlich auch die Anzahl der Proteine im Cluster genau bestimmen. Dazu haben sie zunächst experimentell die Beweglichkeit der Syntaxin-1-Proteine zwischen einzelnen Clustern gemessen. Führten die Wissenschaftler dann Computer-Simulationen mit unterschiedlicher Proteinanzahl pro Cluster durch und verglichen diese mit der gemessenen Beweglichkeit der Proteine im Experiment, so stimmten Experiment und Simulation nur dann überein, wenn sich im Mittel 75 Syntaxine pro Cluster zusammenballten. Um diese 75 Syntaxine auf nur einem Tausendstel des Durchmessers eines Haares unterzubringen, müssen sie damit äußerst dicht gepackt sein.

Einzelne Proteine wandern hin und her

Allerdings sind nicht alle Syntaxin-1-Proteine in Clustern organisiert. Etwa ein Fünftel der Syntaxin-1-Proteine wechselt zwischen unterschiedlichen Proteingruppen in der Membran hin und her. Ob und welche Funktion sie haben, ist noch ungeklärt. Doch sind es vermutlich die Proteincluster, die schnelles Denken ermöglichen. Die Göttinger Forscher wollen nun in Zukunft herausfinden, wie sich das Team aus Proteinen innerhalb des Syntaxin-1-Clusters die Informationsweiterleitung aufteilt.

Angriffspunkt für Nervengifte

Die neuen Erkenntnisse haben noch einen interessanten Nebeneffekt. Die wichtige Funktion der SNARE-Proteine in Nervenzellen macht sie zu einem idealen Angriffspunkt für Nervengifte wie die Botulinus- Neurotoxine, kurz Botox genannt. Diese schneiden Syntaxine ab, was direkt auch die Clusterbildung dieser Proteine verhindern würde. Die Arbeiten der Wissenschaftler tragen dazu bei, die Wirkungsweise dieser Nervengifte genauer aufzuklären, so dass diese auch zu unserem Nutzen angewendet werden können. Botox wird bereits erfolgreich bei der Behandlung von Spasmen eingesetzt. In feiner Dosierung werden die Nervenleitungen dazu an der gewünschten Stelle blockiert und dadurch die Muskelspannungen gelöst. Auch die eine oder andere Hautfalte lässt sich auf diese Weise glätten.

(Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, 27.08.2007 – NPO)

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