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Genetik

„Genetischer Müll“ viel wertvoller als gedacht

Angeblich funktionslose Erbgutbestandteile an der Entstehung von Krankheiten beteiligt

Ein internationales Forscherteam hat herausgefunden, dass die Teile des Erbguts, die bislang als funktionsloser „genetischer Müll“ angesehen wurden, als Bauplan für Ribonukleinsäuren (RNA) dienen – ebenso wie die anderen Teile des Genoms. Diese „Müll-RNAs“ sind keinesfalls unwichtig, sie scheinen an der Entstehung von Krankheiten wie Krebs oder Herzinfarkt beteiligt zu sein, so die Forscher im Wissenschaftsmagazin Nature.

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Die menschliche DNA besteht aus 3,3 Milliarden Basenbuchstaben – eine unvorstellbare Zahl. Nach der gängigen Lehrmeinung braucht der Mensch jedoch nur 1,5 Prozent davon: Als Blaupause setzen sich nach ihren Vorgaben zunächst RNA zusammen, die wiederum als Strickmuster für Proteine dienen, den Grundbausteinen der Zellen. Der Rest des Genoms – also 3,25 Milliarden Basenbuchstaben – galt bisher als genetischer Müll ohne nennenswerte Funktion.

Nun müssen einige Kapitel der Lehrbücher umgeschrieben werden: Denn wie ein internationales Forscherteam entdeckte, werden auch die als „genetischer Müll“ oder als „nichtkodierende Gene“ bezeichneten Abschnitte des Erbguts nahezu vollständig in RNA übersetzt. Und sie haben zudem eine Funktion: Die „Müll-RNAs“ regulieren die Gene, nach deren Bauplan die Proteine zusammengesetzt werden. Geht hier etwas schief, produziert der Körper also beispielsweise zu viel oder zu wenig Proteine, gerät die Körperzelle aus dem Gleichgewicht – Krankheiten entstehen.

Gen-Diagnose auf das gesamte Genom ausweiten

„Unsere Ergebnisse eröffnen viele neue Möglichkeiten für die Krankheitsdiagnostik und werden künftig sicher auch für die Therapie interessant – etwa bei Krebs oder Herzinfarkten“, sagt Dr. Jörg Hackermüller vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI, das gemeinsam mit der Universität Leipzig am Projekt beteiligt ist – als einzige deutsche Partner in einem internationalen Forscherteam. Andere beteiligte Länder sind die USA, Kanada, Singapur, Spanien, und Großbritannien. „Bisher hat man sich bei der Suche nach krebsrelevanten Genen auf die kodierenden Bereiche beschränkt, also auf knapp zwei Prozent des Erbguts. Nun können wir die Gen-Diagnose auf das gesamte Genom ausweiten.“

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Der Vorteil einer solchen Gen-Diagnose und -Krankheitsbehandlung: Genetische Defekte stehen ganz am Anfang einer Krankheit. Über sie könnten die Ärzte Erkrankungen künftig sehr früh diagnostizieren und behandeln – und würden so wertvolle Zeit gewinnen. Für einige Krankheiten ist der Zusammenhang mit den „Müll-RNAs“ bereits geklärt: So ist etwa beim Prostatakrebs eine dieser RNAs falsch reguliert.

„Beim Prostatakrebs ist man bereits heute so weit, dass man diese Methode prinzipiell zur Diagnose einsetzen kann“, sagt Professor Peter Stadler von der Universität Leipzig. „Insgesamt lernen wir jedoch erst, mit solchen Fragestellungen umzugehen, da die Forschung sich bisher nur auf die Bereiche konzentriert hat, die den Bauplan für die Proteine liefern.“

„Müll-DNAs“ nur in einem einzigen Gewebe aktiv

30 Millionen Basenbuchstaben des menschlichen Genoms hat die internationale Forschergruppe für das Projekt „Encyclopedia of DNA Elements ENCODE“ analysiert, das im Jahr 2003 vom National Human Genome Research Institute ins Leben gerufen wurde. „Die untersuchten Genabschnitte haben wir so ausgewählt, dass sie Rückschlüsse auf das gesamte Genom erlauben“, sagt Hackermüller.

Eine weitere Erkenntnis der Forschergruppe: Die nichtkodierenden RNAs arbeiten viel spezifischer als die RNAs, die als Bauplan für die Proteine dienen. Oft sind diese „Müll-DNAs“ nur in einem einzigen Gewebe aktiv.

(idw – Fraunhofer-Gesellschaft, 15.06.2007 – DLO)

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