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Ökologie

Känguru-Plage bedroht Australiens Grasflächen

Forscher untersuchen Folgen der Verstädterung

Graues Riesenkänguru © Anett Richter/UFZ

Australiens Hauptstadt Canberra wird von einer Känguru-Invasion heimgesucht. Das Wappentier des Landes hat sich dort in den letzten Jahren so stark vermehrt, dass die Metropole inzwischen dreimal mehr Kängurus als Einwohner hat. Besonders dramatisch ist die Situation auf zwei eingezäumten Militärgebieten am Stadtrand, die dem Östlichen Grauen Riesenkänguru als ideales Rückzugsgebiet dienen. Die Grasflächen dort sind mittlerweile völlig überweidet – mit dramatischen Konsequenzen für andere Tierarten.

Denn gerade diese Flächen zählen zu den wenigen natürlichen Grasflächen Australiens und sind damit auch eine der übrig gebliebenen Reservate für bedrohte Tierarten wie die Sonnenmotte – Synemon plana – oder den Ohrlosen Graslanddrachen – Tympanocryptis pinguicolla – eine der seltensten Eidechsenarten überhaupt. Forscher aus Canberra und Leipzig untersuchen dort seit mehreren Jahren, welche Folgen Landschaftszerschneidung und Nutzungsänderungen auf die Artenvielfalt haben.

Zum Stadtbild von Canberra, auch „Bush Capital“ Australiens genannt, haben die grauen Beuteltiere schon immer gehört. Aber ihre Anzahl überrascht selbst die Leipziger Biologen Anett Richter und Dr. Marion Höhn vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Anett Richter untersucht in einer Studie wie Heuschrecken, Laufkäfer und Zikaden im natürlichen Grasland des Australian Capital Territory (ACT) von der Landschaftszerschneidung betroffen sind.

Vertrocknete Wiesen und Kängurukot

Doch bei ihren Feldarbeiten mussten sie feststellen, dass es davon weit weniger Exemplare als erwartet gab. Was sie stattdessen fand, waren kahl gefressene, von der Jahrhundertdürre gezeichnete, vertrocknete Wiesen und große Mengen Kängurukot, speziell in den eingezäunten Militärgebieten: „Die Ergebnisse der Fragmenteirungsuntersuchungen liegen noch nicht vor. Aber wir gehen davon aus, dass es auf einzelnen Flächen einen Zusammenhang zwischen den extrem hohen Populationsdichten von Kängurus und der Artenvielfalt unter den Wirbellosen gibt – insbesondere in Zeiten starker Dürre.“

Aber auch der Mensch ist nicht unschuldig. Die einst weitlaufigen Grasländer waren das Revier der australischen Ureinwohner, die durch Jagd und Feuermanagement dieses sensible Ökosystem nachhaltig nutzten. Natürliche Räuber wie der Dingo kontrollierten die Populationsgrößen der Kängurus. Mit der Besiedlung Australien vor 200 Jahren gingen zuerst die Grasländer verloren und die Entwicklung von Städten führte zu einer kompletten Veränderung der Landschaftsstruktur. Heute ist Australien infolge der Verstädterung und Intensivierung der Landschaft in weiten Teilen eine stark fragmentierte Landschaft mit einem hohen Risiko, ihre biologische Vielfalt zu verlieren. Infolge der dramatischen Dürreperioden der letzten zehn Jahre kam es zu einer anhaltenden Überweidung der natürlichen Grasländer, die sich nicht mehr erholen konnten.

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Der Mensch hat aber das Wasserangebot für Kängurus durch die Anlage von Viehtränken und anderen Gewässern erheblich verbessert. Normalerweise fallen bei Dürren die schwächeren Kängurus der Trockenheit zum Opfer. Heute können sie aber auf künstliche Wasserstellen zurückgreifen und so ihre Bestände erhalten, die die bereits beeinträchtigte Vegetation weiter schädigen. Im Gegensatz zu anderen Tierarten haben sich die Kängurus gut an den Menschen angepasst.

Grasländer schwinden immer weiter

Australiens Hauptstadt ist ein Paradebeispiel dafür, wie stark der Mensch den fünften Kontinent seit der europäischen Besiedlung vor über 200 Jahren verändert hat. Wo sich heute Canberra erstreckt, befanden sich vorher natürliche Grasländer, die einst das Bild des südöstlichen Australiens prägten. Übrig geblieben sind davon im Hauptstadtterritorium fünf Prozent und in ganz Australien lediglich ein Prozent. Und selbst diesen kleinen, isolierten Flächen droht jetzt durch die Kängurus, durch Bebauung oder durch die Dürre das Aus. Dabei konnten sich die Bewohner der Hauptstadt erst vor wenigen Jahren über die Wiederentdeckung eines verloren geglaubten Mitbewohners freuen.

Ohrlose Graslanddrache © Wendy Dimond/ University of Canberra

Der Ohrlose Graslanddrache ist eine der seltensten Reptilienarten der Welt. Nur einige wenige Populationen am Rande Canberras haben überlebt. Die winzige gerade mal neun Gramm schwere Eidechsenart versteht sich so gut zu tarnen, dass sie lange als bereits ausgestorben galt. Bis 1991 der Biologe Dr. Will Osborne von der Universität Canberra zufällig mit dem Fuß einen Stein beiseite schob: „Was darunter plötzlich zum Vorschein kam, war einer der aufregendsten Momente in meinem Leben. Ich weiß bis heute nicht, wie es mir gelang, meinen kleinen Sohn so schnell von den Schultern zu bekommen, um der Echse hinterher zuspringen und sie zu fangen.“

Hören ohne Ohren

Dreißig Jahre lang galt die Eidechse ohne Ohren, die trotzdem hören kann, als verschollen. „Es ist aber schwierig, Pläne für den Schutz einer Art zu erstellen, über die kaum etwas bekannt ist“, meint Wiederentdecker Osborne. In den letzten Jahren haben deshalb seine Kollegen zusammen mit Forschern vom Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) die Lebensweise des Reptils untersucht, um das Ökosystem Grasland besser zu verstehen. Wie beim Drachen im Märchen hat auch der Ohrlose Graslanddrache eine Höhle. Löcher von Spinnen am Wiesenboden bilden das ideale Versteck, in dem die Echsen selbst Buschbrände überstehen. Nur sind sie so wenig mobil und drohen, zum Opfer der Veränderungen in der Landschaft zu werden.

Marion Höhn untersucht in genetischen Studien, ob die Populationen des Ohrlosen Graslanddrachens miteinander im Austausch stehen: „Falls nicht, besteht längerfristig das Risiko, dass Inzucht zum Aussterben der winzigen Populationen führen kann“. Zunächst müssen sie aber erst einmal die nächsten Jahre überstehen. Dazu gehört eine ausreichende Nahrungsbasis an Insekten, die wiederum von der Vegetation abhängen.

Verschiedene Untersuchungen finden seit einiger Zeit in Canberra statt, um effiziente Methoden zur Geburtenkontrolle der Kängurus zu finden. Doch bis die Wissenschaftler Regulierungsmechanismen gefunden haben, kann es für viele gefährdete und oft übersehene Arten bereits zu spät sein. Aus diesem Grund scheint momentan kein Weg vorbeizuführen, die Erschießung von vielen Kängurus professionell vorzunehmen, um die sensible Flora und Fauna am Rande der australischen Hauptstadt zu schützen.

(idw – Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, 18.05.2007 – DLO)

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