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Evolution

Rädertierchen: 40 Millionen Jahre kein Sex

Fähigkeit zur echten Artbildung und lange Überlebensdauer verblüfft Forscher

Rädertierchen aus der Gruppe der Bdelloidae © Saint Xavier University

Sie existieren seit 40 Millionen Jahren ohne Sex und das ziemlich erfolgreich. Die in fast jedem Gewässer vorkommenden Rädertierchen der Gruppe Bdelloidae sind nicht nur verbreitet, sie schafften es auch, sich zu verschiedenen Arten zu differenzieren – obwohl dies herkömmlichen Vorstellungen von Artbildung widerspricht.

Die winzigen, fast durchsichtigen Rädertierchen leben seit rund 40 Millionen Jahren in Teichen, Tümpeln, Flüssen, aber auch Pfützen, feuchter Erde oder auf Moos. Soweit nichts Besonderes also. Aber eine Besonderheit haben sie: Es gibt bei ihnen keine Männchen. Die weiblichen Rädertiere produzieren Eier, die genetisch identische Kopien ihres eigenen Genoms sind. Sex – und damit eine Vermischung des Erbguts verschiedener Individuen findet, nicht statt. Bisher gingen Forscher davon aus, dass in einem solchen Falle eine echte Artbildung kaum möglich ist. Unterschiede innerhalb dieser Rädertierchen führten sie auf eine Ansammlung scheinbar zufälliger Mutationen beim Kopieren des Genoms zurück.

Jetzt enthüllten Wissenschaftler um Tim Barraclough vom Imperial College in London jedoch anderes: In umfassenden vergleichenden Studien entdeckten sie Hinweise darauf, dass sich die Rädertierchen durch Anpassungen an eine jeweils unterschiedliche Umwelt sehr wohl in eindeutig genetisch und anatomisch voneinander abgrenzbare Arten differenziert haben.

”Wir haben Belege dafür entdeckt, dass unterschiedliche Populationen dieser Lebewesen sich in Arten differenziert haben, nicht nur, weil sie an unterschiedlichen Orten isoliert waren, sondern auch, weil in den unterschiedlichen Umwelten verschiedenen Selektionsdrucke auf sie wirkten“, erklärt Barraclough. „Ein Beispiel ist das von zwei Arten, die in enger Nachbarschaft miteinander auf dem Körper eines anderen Tieres, einer Wasserlaus leben. Eine sitzt an den Beinen der Laus, die andere auf der Brust. Und beide haben sich in Körpergröße und Kieferform auseinander entwickelt um ihre jeweilige ökologische Nische ausfüllen zu können.“

Unterschiede kein Zufallsprodukt

Die Studie weist nach, dass solche Unterschiede kein Zufallsprodukt sind, wie bisher angenommen, sondern – ähnlich wie bei der sexuellen Artbildung auch – das Ergebnis der so genannten divergenten Selektion, einem gerichteten Selektionsdruck.

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“Es sind wirklich erstaunliche Tiere, deren Existenz allein schon wissenschaftliche Grundannahmen in Frage stellt”, so Barraclough. „Denn normalerweise dachte man, dass asexuelle Lebewesen sehr schnell wieder aussterben – aber diese hier gibt es seit Millionen von Jahren. Unser Beleg, dass natürliche Selektion sie zur Artbildung brachte ist ein weiteres Beispiel dafür, wie sie uns überraschen. Und ihre Fähigkeit zu überleben und sich an Veränderungen anzupassen wirft Fragen auf über unser Verständnis des Evolutionsprozesses.“

(Imperial College London, 20.03.2007 – NPO)

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