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Paläontologie

Van-See: Klimakapriolen seit der letzten Eiszeit

Klimageschichte der letzten 800.000 Jahre im Seeboden gespeichert

Kieferpollen. © Prof. Dr. Thomas Litt / Uni Bonn

Am Grund des türkischen Van-Sees ruht eine mehrere hundert Meter dicke Schlammschicht, die für Klimaforscher Gold wert ist: Sommer für Sommer haben sich dort Pollen aus längst vergangenen Tagen abgelagert. Bis aufs Jahr genau lässt sich an ihnen ablesen, welches Klima beispielsweise zu Zeiten des Neanderthalers oder früher herrschte. Ein internationales Forscherteam will nun diesen Schatz heben. Erste Untersuchungen zeigten jedoch bereits, dass sich das Klima seit der letzten Eiszeit mitunter sehr kurzfristig verändert hat – manchmal innerhalb von zehn oder zwanzig Jahren.

Leise rieselt der Kalk: Jeden Sommer bettet sich eine daumendicke Schicht aus Kalziumkarbonat auf dem Grund des Van-Sees zur Ruhe. Tag für Tag schweben in dieser Zeit zudem Abermillionen Pollenkörner zu Boden. Zusammen mit Kalk bilden sie eine helle Sedimentschicht, die so genannte Sommerlage.

Im Winter ändert das permanente „Schneetreiben“ unter dem Seespiegel seine Farbe: Nun stellt Ton den Hauptbestandteil der Ablagerungen, der sich als dunkelbraune Winterlage über das Pollen-Kalk-Gemisch legt. In 400 Meter Tiefe stört kein Sturm, keine Welle diesen Prozess. Über hunderttausende von Jahren kann man die „Jahresringe“ im Bodenschlamm nachverfolgen. „An einigen Stellen ist die Sedimentschicht bis zu 400 Meter dick“, erklärt der Bonner Paläontologe Professor Thomas Litt von der Universität Bonn. „Auf zehn Meter kommen rund 20.000 Jahresschichten“, rechnet er vor. „Im Boden des Van-Sees ist vermutlich die Klimageschichte der letzten 800.000 Jahre gespeichert – ein unvergleichlicher Datenschatz, den wir nun zumindest für die letzten 500.000 Jahre heben wollen.“

250 Meter Sediment = 500.000 Jahre Klimaarchiv

Litt ist Sprecher eines internationalen Forscherkonsortiums, das am Van-See die sprichwörtlichen „dicken Bretter“ bohren möchte: Mit High- Tech-Equipment wollen die Wissenschaftler von einer großen schwimmfähigen Plattform armdicke Bohrkerne aus dem Bodenschlamm stechen – bei 380 Metern Wasserbedeckung keine einfache Aufgabe. Bis in 250 Meter Sedimenttiefe wollen die Forscher vordringen. Dazu haben sie eine Förderung durch das internationale kontinentale Bohrprogramm

(ICDP) beantragt. Es wäre das erste Mal, dass eine ICDP-Bohrung von einem Deutschen geleitet würde.

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Die Zeichen, dass es dazu kommt, stehen nicht schlecht. Ein Vorantrag wurde vom ICDP-Exekutivkomitee sehr gut bewertet – vor allem Dank einer erfolgreichen Voruntersuchung, die die Wissenschaftler 2004 am Van-See durchgeführt haben. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hatte die Exkursion finanziert. Sie hat das Projekt gerade für weitere zwei Jahre verlängert.

Das Sediment verspricht gleich mehrfach spannende Erkenntnisse: Vulkanologen können beispielsweise genau feststellen, wann die Vulkane in der Umgebung des Sees ausgebrochen sind. Dann liegt nämlich zwischen den Jahresschichten plötzlich eine dicke schwarze Aschelage. „Bei der Probebohrung haben wir in den letzten 20.000 Jahren 15 Ausbrüche gezählt“, sagt Litt. „Die Zusammensetzung der Asche verrät sogar, von welchem Vulkan aus der Umgebung sie stammt.“

Pollen mit Pausbacken

Auch Erdbeben in dem geologisch sehr aktiven Gebiet sind in dem Archiv penibel vermerkt. Für Litt am interessantesten ist aber die biologische Füllung, die vor allem die Sommerschichten bergen: Die mikroskopisch kleinen Pollen verraten dem Paläobotaniker, was an den Ufern des Sees früher so alles wucherte. In einem würfelzuckergroßen Bröckchen sind bis zu 200.000 Körner eingeschlossen. Unter dem Mikroskop entfaltet der feine Staub eine ganz besondere Ästhetik: Das Korn der Schafgarbe ist stachelig wie ein Igel, der Kieferpollen ähnelt mit seinen Luftsäcken einem pausbäckigen Gesicht, „und sehen Sie mal den Ölbaum“, begeistert sich Litt, „der hat auch ein sehr schönes Pollenkorn.“

Der Forscher erkennt meist schon auf den ersten Blick, von welcher Gattung oder Art die Funde stammen – selbst dann, wenn sie schon einige tausend Jahre alt sind. Denn die Pollenhülle widersetzt sich erfolgreich dem Zahn der Zeit. „Das Material ist äußerst resistent gegen Umwelteinflüsse und widersteht sogar starken Säuren oder Laugen“, erklärt Professor Litt. Mit Flusssäure oder Kalilauge löst er die Pollenkörner aus den Sedimentproben; die Körner zeigen sich von der rabiaten Behandlung völlig unbeeindruckt. Unter dem Mikroskop werten die Botaniker dann aus, wie viel Pollen von welcher Art in der jeweiligen Schicht vorhanden ist. „An interessanten Stellen entnehmen wir den Bohrkernen jeden Zentimeter Material; so erreichen wir eine zeitliche Auflösung von wenigen Jahren.“

Der Pollen erlaubt recht genaue Aussagen über Temperatur und durchschnittliche Niederschlagsmenge zur Zeit der Funde. Denn jede Arten stellt ganz individuelle Ansprüche an ihre Umgebung. „Finden wir nun in einem Präparat Pollen mehrerer Arten, deren Standortansprüche wir kennen, können wir eine Wahrscheinlichkeitsaussage über das damalige Klima treffen“, erklärt der Wissenschaftler. „Der Van-See verspricht hier einmalige Erkenntnisse zur Klimaentwicklung in Eurasien – und damit auch zur Einordnung der momentanen Wärmeperiode.“

(idw – Universität Bonn, 13.03.2007 – DLO)

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