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Evolution

Vormensch: Kurze Beine als Kampfhilfe?

Neue Hypothese über Ursache der Kurzbeinigkeit der Australopithecinen

Schimpanse © IMSI MasterClips

Die Australopithecinen, die ersten aufrecht gehenden Vorfahren des Menschen, hatten im Verhältnis zu ihrer Köpergröße relativ kurze Beine. Aber warum? Ein Evolutionsbiologe hat dazu jetzt eine ungewöhnliche Hypothese aufgestellt: Seiner Ansicht nach diente diese Anpassung nicht nur dem besseren Klettern, sondern sollte vor allem den Männchen einen festeren Stand bei den Rangkämpfen verleihen.

Die Angehörigen der Gattung Australopithecus – das berühmte Fossil “Lucy” gehörte dazu – lebten vor zwei bis vier Millionen Jahren im östlichen Afrika. Sie gelten als Vorfahren des Menschen der Gattung „Homo“, zu denen auch der moderne Mensch gehört. Mit Körpergrößen von rund 1,20 Meter bei den Frauen und 1,35 Metern bei den Männern waren sie eher klein. Im Verhältnis zu ihrer Körpergröße waren ihre Beine relativ kurz, in den Längenverhältnissen eher denen der Affen entsprechend.

Klettern oder Kämpfen?

“Während der ganzen Zeit in der sie existierten, hatten sie diese relativ kurzen Beine”, erklärt David Carrier, Professor für Biologie von der Universität Utah. „Länger als die Beine von Schimpansen aber kürzer als die Beine der nach ihnen kommenden Menschen. Die Frage ist daher: warum behielten die Astralopithecinen so lange die kurzen Beine?“

“Das alte Argument war, dass sie ihre kurzen Beine behalten haben, damit sie besser auf Bäume klettern können, denn diese waren ein wichtiger Bestandteil ihres Habitats“, so Carrier. Biomechanisch betrachtet ist dies sinnvoll, denn kurze Beine verlagern den Schwerpunkt weiter nach unten. Beim Klettern und Laufen auf Ästen gibt dies zusätzlich Stabilität. Doch möglicherweise hatte der „tiefergelegte“ Schwerpunkt noch eine ganz andere Funktion:

Tieferer Schwerpunkt für besseren Stand?

„Meine Ansicht ist, dass sie sie behalten haben, weil die kurzen Beine das Kämpfen erleichterten“, so postulierte Carrier jetzt in der Fachzeitschrift Evolution. Er vertritt die Meinung, dass insbesondere die Aggression zwischen den Männchen, vor allem im Kampf um die Weibchen, die treibende Kraft hinter dem Beibehalten der kurzen Beinen gewesen sein könnte. Um dies zu belegen, verfolgte er einen ungewöhnlichen Ansatz: Er suchte nach einer Korrelation zwischen Aggression und Beinlänge. Dafür verglich er acht Primatenarten, darunter Bonobos, Orang-Utans, Schimpansen, Gibbons und Gorillas sowie als Vertreter einer menschlichen Rasse die australische Ureinwohner.

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Als Vergleichsdaten dienten einerseits die Längen der Beine, andererseits zwei äußere Merkmale, die als Indikator für starke Konkurrenz zwischen den Männchen einer Primatenspezies gelten. Zum einen waren dies die Gewichtsunterschiede zwischen Weibchen und Männchen, zum anderen die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Länge der Eckzähne. Bei beiden deuten größere Differenzen auf ausgeprägtere Konkurrenzkämpfe und Aggressionen zwischen den Männchen hin.

Kurze Beine vor allem bei Männchen

Skelett eines Gorillas. © aus Alfred Brehm "Brehms Tierleben"

Es zeigte sich, dass die Beinlänge bei den untersuchten Arten tatsächlich umso kürzer war, je stärker die Merkmale auf ausgeprägte Konkurrenz zwischen den Männchen hindeuteten. Primatenarten mit größeren anatomischen Unterschieden hatten auch die kürzeren Beine. Auch wenn Verwandtschaften zwischen den einzelnen Primatenarten mit berücksichtigt wurden, zeigte sich dieser Zusammenhang noch: Gleich aggressive Spezies hatten ähnliche Beinlängenverhältnisse auch wenn sie nicht verwandt waren, Spezies, die nah verwandt, aber nicht gleich aggressiv waren, unterschieden sich dagegen auch in der Beinlänge. Gleichzeitig hatten die Weibchen aller Arten im Verhältnis längere Beine als die Männchen.

„Wenn die Männchen die kurzen Beine vor allem zum Kämpfen brauchten, dann würde man erwarten, dass sie kürzere Beine im Verhältnis zur Körpergröße haben als die Weibchen“, so Carrier. „Mit kurzen Beinen ist der Schwerpunkt näher an der Erde. Es macht dich stabiler, so dass du nicht so leicht umgeworfen werden kannst. Und auch die Hebelwirkung ist besser im Ringkampf.“

Klettervorteil nicht ausgeschlossen

Carrier räumt allerdings ein, dass seine Aggressions-Hypothese nicht ausschließt, dass die kurzen Beine auch das Klettern erleichtert haben. „Aber die Belege sind hier dünn, denn die Affen, die im Verhältnis die kürzesten Beine haben sind genau die, die am wenigsten Zeit auf den Bäumen verbringen – männliche Gorillas und Orang-Utans.“

Nach Ansicht des Forschers schließen die beiden Hypothesen für die Evolution von relativ kurzen Beinen einander nicht aus. „Die Selektion für besseres Klettern könnte die Entwicklung einer für das Kämpfen günstigeren Körperform gefördert haben und umgekehrt.“

(University of Utah, 12.03.2007 – NPO)

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