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Neurobiologie

Bald „Gehirn-Doping“ für Down-Patienten?

Wirkstoff steigert Lernvermögen von Down-Mäusen deutlich

Forscher haben einen Wirkstoff entdeckt, der bei Mäusen mit Down-Syndrom Lernfähigkeit und Gedächtnis deutlich verbessert. Wie sie in „Nature Neuroscience“ berichten, reichte dabei eine kurzzeitige, einmal tägliche Gabe aus, um die Wirkung noch Monate nach der Behandlung anhalten zu lassen. Eine klinische Studie an Menschen könnte jetzt möglicherweise folgen.

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Das Down-Syndrom ist eine genetisch bedingte Erkrankung, die durch eine überschüssige Kopie des Chromosoms 21 hervorgerufen wird. Das Syndrom geht einher mit starken Lernbehinderungen und anderen geistigen Einschränkungen, Betroffene gelten auch als anfälliger für Herzerkrankungen und Leukämie. Wissenschaftler der Stanford University und des Lucile Packard Kinderkrankenhauses unter Leitung von Fabian Fernandez und Craig Garner, Professor für Psychiatrie und Verhaltensforschung, untersuchten jetzt mögliche Wege der Behandlung dieser Krankheit anhand von Mäusen, bei denen die Verdopplung von 150 Genen ebenfalls ein Down-Syndrom auslöste, sowie an Mäusen des Wildtyps ohne diese Mutation.

Wirkstoff verbessert Lernverhalten

Die Forscher gaben den Down-Mäusen 17 Tage lang einmal täglich Milch mit Pentylenetetrazol, kurz PTZ, darin zu trinken. Dieses Mittel wurde bereits in den 1950er kurzzeitig gegen Gedächtnisstörungen getestet, später dann jedoch entzog die amerikanische Arzneimittelbehörde dem Wirkstoff die Zulassung, weil keine klaren Effekte auszumachen waren und zudem eine Überdosierung Krämpfe auslösen konnte. Jetzt jedoch testeten die Forscher dieses Mittel erneut gezielt bei diesem bestimmten Typ der Lernbehinderung.

Sie analysierten die kognitiven Leistungen der behandelten, unbehandelten und der Wildtyp-Mäuse in mehreren Experimenten, darunter die Reaktion auf unbekannte Objekte und das Verhalten in einem T-Labyrinth. In einem ersten Experiment durften die Mäuse zwei verschiedene Objekte eine Viertelstunde lang ausführlich erkunden. 24 Stunden später präsentierten die Forscher den Tieren eines der beiden schon bekannte Objekte sowie ein neues, unbekanntes. Während die Wildtyp-Mäuse das neue Objekt deutlich länger untersuchten, es also als neu erkannten, machten Down-Mäuse normalerweise keinerlei Unterschied zwischen beiden. Dies änderte sich jedoch nach der Behandlung mit PTZ deutlich: Denn dann begannen die Down-Mäuse sich in ihrem Verhalten stark an das der Kontrolltiere anzugleichen.

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Ähnliches zeigte sich auch in einem zweiten Experiment, bei dem die Mäuse ein T-förmiges Labyrinth erkunden durften. Die Wildtyp-Mäuse gingen dabei methodisch vor und untersuchten erst einen, dann den anderen Arm des „T“. Unbehandelte Down-Mäuse dagegen liefen eher unkoordiniert durch die Gänge. Nach der Behandlung jedoch zeigte sich auch hier ein deutlich methodischeres Vorgehen.

„Irgendwie erzeugt der Wirkstoff offenbar eine neue Kapazität für das Lernen“, erklärt Garner. Nach Ansicht der Forscher liegt der Schlüssel zu dieser Verbesserung der kognitiven Leistungen wahrscheinlich darin, dass das PTZ einen bestimmten erregungshemmenden Botenstoff im Gehirn, das GABA, hemmt. Während normalerweise hemmende und erregende Transmitter sensibel ausbalanciert sind, vermuten Wissenschaftler beim Down-Syndrom einen Überschuss an hemmendem GABA. Als Folge ist das Verarbeiten neuer Informationen erschwert. Das PTZ wirkt dieser Hemmung entgegen.

Dauerhafte Veränderungen an den Neuronen?

Generell zeigte sich, dass die positive Wirkung erst einige Tage nach Beginn der Behandlung einsetzte, dann aber bis zu zwei Monate nach Beendigung der täglichen Gabe anhielt. „Das deutet darauf hin, dass nicht nur die Aufhebung der überschüssigen Hemmung das Lernen wieder ermöglicht, sondern dass wir auch die Synapsen durch irgendeine Art der langfristigen neuronalen Adaptation stärken“, erklärt Garner.

Eine solche Wirkung könnte durch den Prozess der so genannten Langzeit-Potenzierung erklärt werden. Dabei wird eine Gehirnzelle dauerhaft sensibler für einen bestimmten Reiz, wenn dieser einmal eine bestimmte Schwelle überschritten und den Prozess damit aktiviert hat. In Down-Patienten galt dieser am normalen Lernen beteiligte Prozess als gestört oder nicht vorhanden. Die Versuche an Mäusen deuten aber nun darauf hin, dass das PTZ auch hier für eine Normalisierung sorgen könnte.

Kein „Gehirn-Doping“

Garner und Fernandez wollen als nächsten Schritt eine klinische Studie beantragen. „Diese Behandlung hat bemerkenswertes Potenzial“, so Garner. „So viele andere Wirkstoffe wurden schon erfolglos getestet. Unsere Ergebnisse eröffnen einen neuen Weg, um die kognitive Dysfunktion beim Down-Syndrom besser behandeln zu können.“

Die Forscher warnen jedoch davor, diesen Wirkstoff als „Doping-Mittel“ für das Gehirn anzusehen oder zu missbrauchen. Zum einen bewirke das Mittel keinerlei Lernverbesserungen bei gesunden Mäusen, zum anderen seien weder sichere Dosen noch Behandlungsschemata bisher erforscht. Auch die Sicherheit ähnlicher, frei erhältlicher Mittel sei fraglich. „Unser Geschäft ist nicht die kognitive Erweiterung“, so Fernandez. „Wir haben hier etwas, dass einen Teil der zahlreichen Hilfsmittel darstellen könnte, die es Down-Patienten ermöglichen, ein normaleres Leben zu führen.“

(Stanford University Medical Center, 26.02.2007 – NPO)

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