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Paläontologie

Homo heidelbergensis digital

Prähistorische Funde in Mauer erstmals digital zusammengefasst

Unterkeifer des Homo erectus heidelbergensis © Verein "Homo heidelbergensis von Mauer e.V."

Die Frage, ob man ihnen in Heidelberg die Fundstätte des Homo heidelbergensis zeigen könne, müssen die Bewohner der altehrwürdigen Universitätsstadt regelmäßig verneinen. Denn entdeckt wurde das bedeutende Fossil in einem weitgehend unbekannten Dorf namens Mauer, 17 km Luftlinie südöstlich von Heidelberg im Kraichgau gelegen. Damit Interessierte sich sich zukünftig direkt an der Fundstelle informieren können, ist ein Hominidenzentrum in Mauer geplant. Dafür soll nun eine wichtige Voraussetzung geschaffen werden: die vollständige digitale Katalogisierung und Klassifizierung aller Tierfossilien aus den Mauerer Sanden.

In diesen Sanden, genauer sagt in der Sandgrube im Gewann „Grafenrain“, hatte Daniel Hartmann vor bald 100 Jahren – am 21.10.1907 – plötzlich eine Sensation auf seiner Schaufel. Hartmann identifizierte den Unterkiefer, den er ausgegraben hatte, als eindeutig „vom Adam“ und begab sich damit auf den Weg zum Mauerer Rathaus. Dass der einfache Arbeiter diese Zuordnung spontan und richtig machen konnte, ist dem Universalgelehrten und Professor der Heidelberger Universität Otto Karl Friedrich Schoetensack zu verdanken.

Seit dem frühen 19. Jahrhundert waren in Mauer und Umgebung tierische Fossilien verschiedenster Arten aus dem Pleistozän (1,8 Millionen bis 11 500 v. Chr.) gefunden worden. Schoetensack hatte aus diesen Funden geschlossen, dass in den Mauerer Sanden auch mit dem Auftauchen fossiler Hominidenreste zu rechnen sei. Der Unterkiefer war demnach kein Zufallsfund. Doch er blieb der einzige Teil eines Hominiden, der bislang in Mauer gefunden wurde.

Urahn der Mitteleuropäer

Lange Zeit war dieser Unterkiefer eines 18 – 25jährigen Mannes das älteste Fundstück europäischer Menschenahnen, bis in Spanien und im Kaukasus noch ältere Funde gemacht wurden. Wissenschaftler nehmen an, dass sich aus dem Homo erectus heidelbergensis in Europa der Neandertaler entwickelte und in Afrika der Homo sapiens, unser direkter Vorfahr. Während die Neandertalmenschen heute als ausgestorbene Seitenlinie in der menschlichen Stammesgeschichte angesehen werden, geht man in Mauer noch davon aus, dass alle Mitteleuropäer einige Wurzeln im Kraichgau haben.

In der Flussschleife des Ur-Neckars, in die der Kiefer vor circa 550 000 bis 600 000 Jahren von einem vermutlich nicht weit entfernten Ort angeschwemmt wurde, lebte zu jener Zeit eine mannigfaltige Tierwelt. Paläontologen fanden beispielsweise fossile Reste von heute ausgestorbenen Tieren wie dem Waldelefanten, dem kurzhörnigen Urrind, dem kronenlosen Hirsch und dem kleinen Mosbachpferdchen. Sie lebten im lichten Wald, der die Ufer des Ur-Neckars säumte. Im Fluss schwammen Biber und Flusspferd. Und aus dem Hinterland jenseits des Waldgürtels kamen der Säbelzahntiger und das etruskische Nashorn, um Beute und Futter im Uferbereich zu suchen.

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Hominidenzentrum geplant

Damit ist Mauer eine der bedeutendsten Fundstätten tierischer Wirbeltiere des europäischen Pleistozäns. Über 5.000 Fossilien sind bis heute bekannt. Doch wie vielfältig die Fauna war, so verstreut sind heute ihre fossilen Reste. Einen Großteil der rund 4.500 Objekte zählenden „Heidelberger Sammlung“, die der Heidelberger Universität gehören, bewahrt zur Zeit das Staatliche Museum für Naturkunde in Karlsruhe auf. Weitere Fossilien sind von Mauer aus in die ganze Welt gelangt, sowohl in staatliche Museen als auch in private Sammlungen.

In einem zweijährigen Projekt, das die Klaus Tschira Stiftung fördert, möchte nun der Mauerer Verein einen umfassenden digitalen Katalog erstellen, der möglichst viele Fossilien aus Mauer klassifiziert. Diese Bestandsaufnahme wird die wissenschaftliche Datengrundlage schaffen, auf der das gewünschte Hominidenzentrum aufgebaut werden könnte. Zu der Arbeit gehört auch die detektivische Recherche nach weiteren, bislang unbekannten Standorten von Mauerer Fossilien.

(Klaus Tschira Stiftung, 01.04.2004 – NPO)

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