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Biologie

Sonne als Taktgeber für innere Uhr

Soziale Zeitgeber haben nur geringe Bedeutung

Die innere Uhr reguliert nahezu alle Prozesse von der Genaktiviät bis zum Verhalten. Fast immer passt sich dieser biologische Rhythmus an den Tag-Nacht-Wechsel an, dem die 24 Stunden einer Erdumdrehung zugrunde liegen. Äußere Signale wie das Tageslicht ermöglichen diesen aktiven Prozess der Synchronisation. Es ist jedoch bekannt, dass auch soziale Signale eine Rolle spielen können. Diese Einflussfaktoren sind aber nicht immer deckungsgleich. Forscher haben nun in einer neuen Studie gezeigt, dass das Tageslicht eine weit größere Rolle bei der Synchronisierung der inneren Uhr spielt als bisher angenommen und bei konkurrierenden Einflüssen eindeutig Vorrang hat: Die innere Uhr des Menschen orientiert sich an der Sonnenzeit – selbst wenn starke soziale Zeitgeber dazu im Gegensatz stehen.

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Professor Till Roenneberg vom Zentrum für Chronobiologie der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München und seine Kollegen berichten über ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Current Biology".

Innerhalb einer Zeitzone leben die Menschen weitgehend nach sozialen Zeitvorgaben. Unser Tagesablauf von den Arbeitszeiten bis zu den Abendnachrichten im Fernsehen wird von der sozialen Zeit der jeweiligen Zeitzone bestimmt. Die Sonnenzeit dagegen verändert sich, denn Sonnenauf- und Sonnenuntergang bewegen sich innerhalb der Zeitzonen in einem Kontinuum von Ost nach West. Dadurch entstehen Diskrepanzen zu sozialen Zeiten, beispielsweise der tatsächlichen Mitte der Nacht und der "Mitternacht", wie sie die Uhr festlegt.

"Unser Tagesablauf orientiert sich vor allem an der sozialen Uhr", berichtet Roenneberg. "Die Diskrepanzen zur Sonnenzeit scheinen keine Rolle zu spielen. Das aber wirft die Frage auf, ob die innere Uhr des Menschen eine große biologische Ausnahme ist. Die circadiane Uhr aller Tiere und Pflanzen wird vornehmlich von der Sonnenzeit eingestellt. Wenn Menschen tatsächlich nur durch soziale Zeiten synchronisiert werden, sollte es innerhalb einer Zeitzone zwischen Ost und West keine Unterschiede im Schlaf-Wach-Verhalten geben. Wenn Sonnenauf- und -untergang dennoch eine Rolle spielen, sollte man aber eine graduelle Veränderung oder zumindest gewisse Abweichungen beobachten können."

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Verteilung der Chronotypen ermittelt

Die Forscher überprüften deshalb die entsprechenden Angaben im "Munich Chronotype Questionnaire (MCTQ)", einem von ihnen entworfenen Fragebogen. Darin wird unter anderem nach den Ruhezeiten sowie den aktiven Phasen der freiwilligen Teilnehmer gefragt, getrennt nach Arbeits- und freien Tagen. So konnten die Wissenschaftler bereits feststellen, wie sich die verschiedenen Chronotypen statistisch verteilen, wie häufig also die unterschiedlichen angeborenen Eigenschaften der inneren Uhr vorkommen, die die Menschen zu Frühaufstehern oder Morgenmuffeln machen. Mehr als 55.000 Personen haben den online-Fragebogen mittlerweile ausgefüllt.

"Um die Frage nach dem Zeitgeber für die innere Uhr des Menschen zu beantworten, wollten wir mögliche kulturelle Unterschiede ausschließen und haben uns deshalb auf Teilnehmer aus Deutschland beschränkt", so Roenneberg. "Rund 21.600 Individuen hatten im Fragebogen eine korrekte deutsche Postleitzahl angegeben. Diese haben wir dann wiederum in Längengrad- Gruppen von West nach Ost eingeteilt."

Sonnenzeit entscheidend

Die Auswertung ergab, dass sich die innere Uhr des Menschen erstaunlich exakt nach der Sonnenzeit richtet. Nur in Großstädten mit mehr als 300.000 Einwohnern, also bei weniger als 20% der deutschen Bevölkerung, ist der Einfluss der Sonnenzeit schwächer. "Insgesamt können wir also sagen, dass die innere Uhr des Menschen vor allem durch die Sonnenzeit synchronisiert wird, sehr viel mehr jedenfalls als durch soziale Zeitvorgaben", berichtet Roenneberg.

"Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland als politische Regionen konnten wir nicht ausmachen, obwohl zumindest bis 1989 verschiedene kulturelle Einflüsse bestanden. Auch dieses Ergebnis also spricht gegen eine Rolle möglicher soziokultureller Zeitgeber bei dem allmählichen Wandel des Wach-Schlaf-Verhaltens von Ost nach West. Zusätzlich läuft das Entrainment durch die Sonnenzeit wohl unabhängig vom Breitengrad ab."

Zu klären bleibt aber die Frage, warum die Bewohner großer Städte im Schnitt einen späten Chronotyp – also späte Aktivität und morgendliche Müdigkeit – haben und eine geringere Kopplung an die Sonnenzeit zeigen. Möglicherweise ergibt sich dieser Zusammenhang, weil die Bewohner großer Städte weniger Zeit im Tageslicht verbringen, was den Einfluss dieses Zeitgebers schwächt. Ein möglicher Einfluss sozialer Zeitgeber könnte – bei schwachem Einfluss des Tageslichts – vor allem über das Verhalten erklärt werden, wenn wir uns etwa zu selbst gewählten Zeiten ins Dunkle zurückziehen oder während des Schlafs die Augen schließen, und so unsere innere Uhr mal mehr, mal weniger Licht aussetzen.

Licht nicht durch soziale Zeitgeber ersetzbar

Der Einfluss von Licht und Dunkelheit auf die innere Uhr kann in keinem Fall durch rein soziale Zeitgeber ersetzt werden: So zeigt die Erfahrung mit Blinden, dass deren innere Uhr frei läuft, also innere Tage von meist mehr als 24 Stunden durchlebt, selbst wenn die Betroffenen geregelten Arbeits- und sozialen Zeiten nachgehen.

Schichtarbeiter haben ähnliche Probleme, wenn sie nachts arbeiten, aber etwa auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause dem Tageslicht nicht entgehen können. Sie können sich selten an ihre nächtliche, Arbeitszeiten – ihren sozialen Zeitgeber – anpassen. Anders ist dies bei etwa bei Arbeitern auf Ölplattformen, die entweder nachts arbeiten oder in der verdunkelten Kabine schlafen und damit kein Tageslicht erleben.

"Vor allem aber die allmähliche Entkopplung der inneren Uhr vom Tageslicht bei Stadtbewohnern zeigt die relative Stärke des sozialen Zeitgebers", so Roenneberg. "Er kann nur dominant werden, wenn wir kaum noch den natürlichen Zeitgeber erleben. In diesen Fällen ist der Gesamteinfluss des Zeitgebers schwach – das aber resultiert in späteren Chronotypen. Unsere Ergebnisse zeigen nicht zuletzt, dass unter anderem genauer untersucht werden müsste, wie sich die Umstellungen auf Sommer- und Winterzeit individuell auswirken können."

(idw – Universität München, 24.01.2007 – DLO)

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