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GeoUnion

Muscheln als Klimaarchiv

Ring um Ring, Schicht um Schicht

Querschnitt Chione subrugosa (Peru), Tidenzyklen © Bernd Schöne, Universität Mainz

Wenn Muscheln ihre Schalen aufbauen, hinterlassen sie im Kalkskelett ein kalendergenaues Tagebuch der Umweltbedingungen. Dies macht sie zu optimalen Untersuchungsobjekten, wenn es darum geht, den Klimaänderungen vergangener Zeiten nachzuspüren. Wissenschaftler der Universität Mainz entlocken ihnen ihre Geheimnisse.

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„Von Baumringen haben schon viele etwas gehört und dass diese benutzt werden können, um in die Vergangenheit zurückzuschauen“, erklärt Bernd Schöne, Leiter der Abteilung für Angewandte und Analytische Paläontologie, Institut für Geowissenschaften der Universität Mainz. „Doch kaum jemand weiß, dass auch Korallen und Muscheln sich hervorragend dafür eignen.“ Allen drei Gruppen ist gemein, dass sie lange leben, Hartteile bilden, die mitunter fossil überliefert werden und regelmäßige Wachstumsmuster zeigen. In regelmäßigen Zeitabschnitten wird das Wachstum, von Holz, Kalkskelett oder Schale verlangsamt oder unterbrochen, und es bilden sich sog. Zuwachslinien – diese trennen die einzelnen Wachstumsphasen, die „Inkremente“ voneinander. Erst diese Trennlinien machen die Organismen zu einem wertvollen Datenspeicher für die Wissenschaft. Denn so kann jede Wachstumsphase einzeln vermessen werden.

Muschel-Methusalems

Findet man heraus, in welchem zeitlichen Abstand die Trennlinien angelegt werden, braucht man nur noch abzuzählen, wie alt der Organismus geworden ist. „Für eine Islandmuschel haben wir so eines der höchsten je bei einem Tier gemessenen Lebensalter ermittelt: 374 Jahre.“ Je kürzer die Zeitintervalle zwischen zwei Trennlinien sind, umso genauere, d.h. zeitlich höher auflösende Daten erhalten die Wissenschaftler: Bäume bilden nur eine Linie pro Jahr, also kann nur eine Aussage über das ganze Jahr getroffen werden. Muscheln hingegen bilden neben jährlichen Zuwachslinien auch tägliche; dort wo Ebbe und Flut sie umspülen, entstehen sogar zwei solcher Linien pro Tag. „Muscheln liefern uns bislang unbekannte Einblicke in das Wettergeschehen längst vergangener Zeiten. Mit einer zeitlichen Auflösung von einem halben Tag überflügeln wir jedes bisher bekannte Umwelt- und Klimaarchiv“, freut sich Bernd Schöne.

Muschel um Muschel in die Vergangenheit

Doch interessant wird es erst, wenn man nicht nur eine einzige Muschel betrachtet, sondern über die Lebensspanne von einzelnen Tieren hinausschaut. Das funktioniert so: Trägt man die Dicke der Schicht zwischen den Trennlinien gegen die Zeit auf, bekommt man eine Zackenlinie. „Vergleichen wir die Zackenlinien von verschiedenen Muscheln, die in der Nähe, aber zu einer anderen Zeit gelebt haben, können wir feststellen, ob sich die Lebensspannen der Tiere überlappten.“ Ist dies der Fall, kann man mit genügend Muschelschalen die Zackenlinie viele tausend Jahre in die Vergangenheit verlängern. Für Eichen reichen diese so genannten Master-Chronologien schon 12.000 Jahre zurück. Allerdings genügt dazu nicht ein Tier oder ein Baum pro Zeitabschnitt: Je mehr Daten man hat, umso mehr und sicherere Aussagen kann man über die Vergangenheit machen.

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Schalen speichern Informationen

Querschnitt Islandmuschel (Arctica islandica, Island), Jahresinkremente © Bernd Schöne, Universität Mainz

Um die Master-Chronologie zu erhalten werden zunächst die Zackenlinien einzelner Muscheln verglichen und so lange gegeneinander verschoben, bis sie sich annähernd decken. Dann werden die einzelnen Zackenlinien zu einer einzigen Kurve, der Master-Chronologie zusammengefügt. Jetzt kann auch jedem Punkt der Muschelschale ein genaues Kalenderdatum zugeordnet werden. „Anhand dieser Kurve können wir herausfinden, wie die Temperaturen zu einer bestimmten Zeit waren, da die Temperatur beeinflusst, wie schnell eine Muschel wächst.“ Mit weiteren chemischen Analysen direkt an den datierten Muschelschalen können dann Veränderungen von Salz- und Kohlendioxidgehalt des Wassers ermittelt werden. Dies sind wichtige Parameter, um das Klima der Vergangenheit zu rekonstruieren. Mit den Daten aus Muscheln höherer Breiten können jetzt auch endlich die aus den Bäumen gewonnen Daten direkt verglichen werden. Bisher gab es keinen vergleichbar hoch auflösenden Datensatz aus marinen Bereichen außerhalb des Äquators.

Erfreulicherweise hat sich herausgestellt, dass beide Methoden sehr ähnliche Ergebnisse erzielen. Ein weiterer Vorteil von Muschelschalen ist, dass sie fast überall vorkommen, in Seen, Flüssen und Meeren der ganzen Welt. Und im Gegensatz zu Bäumen bilden sie auch überall regelmäßige Wachstumsmuster – aufgrund der fehlenden Jahreszeiten tun Bäume dies in den Tropen und Subtropen nicht. „Wir stehen mit der Methode noch relativ am Anfang. So, als ob wir gerade eine riesige Bibliothek betreten haben, deren Bücher in einer Sprache geschrieben sind, die wir gerade lernen“, fasst Bernd Schöne die Arbeit zusammen, die noch getan werden muss, bis wir alle Informationen lesen können, die Muschelschalen über die Vergangenheit gespeichert haben. „Und damit“, so hofft Bernd Schöne „können wir dann verstehen, was in der Vergangenheit passiert ist, um in die Zukunft schauen zu können.“

(Kirsten Achenbach, DFG-Forschungszentrum Ozeanränder, 13.11.2006 – AHE)

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