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Medizin

Hirnstimulation lindert Bewegungsstörungen

Neurostimulation in tiefen Hirnkernen lindert Symptome schwerer Dystonien

Dystonien sind Bewegungsstörungen, die vom Gehirn ausgehen und zu Fehlhaltungen und Muskelverkrampfungen führen. Sie können einzelne Körperabschnitte oder den gesamten Körper erfassen. Wissenschaftler haben nun nachgewiesen, dass schwere Dystonien mithilfe einer Nervenstimulation im Gehirn gelindert werden können. Wie die Forscher in der Fachzeitschrift "New England Journal of Medicine" berichten, kommt es dadurch zu einer Verbesserung der Alltagsaktivitäten der Betroffenen und damit zu einer Steigerung der Lebensqualität. Allein in Deutschland sind mehr als 160.000 Menschen von Dystonien betroffen.

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Die Wissenschaftler verglichen in ihrer Studie erstmals die so genannte tiefe Hirnstimulation – die Neurostimulation in tiefen Hirnkernen – in einem kontrollierten Untersuchungsaufbau mit einer Kontrollgruppe, die eine Scheintherapie erhielt. Behandelt wurden ausschließlich Patienten mit der schwersten Formen der Dystonie, der so genannten generalisierten oder segmentalen Dystonie, die weite Bereiche des Körpers erfasst und ohne erkennbare Ursache im Kindes- oder Erwachsenenalter auftritt.

Alle Studienteilnehmer wurden durch die operative Implantation von Stimulationselektroden in den so genannten Globus pallidus internus und eines Neurostimulationssystems versorgt. Nur bei der Hälfte der Patienten wurde nach der Operation aber eine effektive Stimulation eingestellt.

Deutliche Linderung der Symptome

Nach dreimonatiger Behandlungsdauer wurden die Verbesserung der Krankheitssymptome in beiden Gruppen anhand von Videoaufnahmen der Patienten durch zwei unabhängige Experten aus den USA und England beurteilt. Scheinstimulierte Patienten zeigten eine durchschnittliche Verbesserung der dystonen Bewegungen um nur 4,9 Prozent während die tiefe Hirnstimulation eine 39-prozentige Linderung bewirkte.

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Im Anschluss an die 3-Monatsphase stellten die Forscher bei allen Patienten eine effektive Stimulation ein. Nach sechsmonatiger Nachbeobachtung zeigte sich in der gesamten Gruppe eine Verbesserung der Dystonie um 46 Prozent, der Alltagsaktivitäten um 41 Prozent und der Lebensqualität um 31 Prozent. Diese Befunde sind nach Angaben der Wissenschaftler umso bedeutender, weil für diese Patientengruppe keine medikamentösen Behandlungsalternativen bestehen. Die Erkrankung hatte bei den am schwersten betroffenen Patienten zu einer Bettlägerigkeit oder Rollstuhlpflichtigkeit geführt.

Bei einigen dieser Patienten konnte durch die tiefe Hirnstimulation eine Selbständigkeit und Unabhängigkeit von Pflegemaßnahmen wiederhergestellt werden. Bleibende Nebenwirkungen traten durch die Operation nicht auf. Allerdings erforderten Wundheilungsstörungen oder technische Probleme mit dem Implantat bei etwa jedem fünften Patienten eine Nachbehandlung. Unter der Stimulation selbst war als einzige relevante Nebenwirkung eine leichte Verschlechterung der Sprache in 15 Prozent der Fälle zu beobachten, die jedoch meist durch Umstellung der Stimulationsparameter behoben werden konnte.

Keine bleibenden Nebenwirkungen

Während die tiefe Hirnstimulation als Behandlungsmethode bei der Parkinson-Krankheit anerkannt ist und weltweit an Tausenden Patienten durchgeführt wurde, gab es bislang bei der Dystonie nur Einzelberichte oder kleine Fallstudien. Das Verfahren war daher in der Neurologie nicht allgemein akzeptiert. "Unsere Studie wird Auswirkung auf die Behandlungsempfehlungen für Patienten mit Dystonien haben", so der Studienleiter Dr. Jens Volkmann von der Neurologischen Klinik der Universität Kiel. "Wir haben einen neuen Weg gefunden, den schwer betroffenen Patienten zu helfen und ein Leben mit geringerer Behinderung zu führen."

Der Studienleiter Professor Dr. Reiner Benecke, Neurologische Klinik der Universität Rostock, ist stolz darauf, dass "es der deutschen Arbeitsgruppe unter Leitung der Universitäten Kiel und Rostock gelungen ist, mit relativ geringen Forschungsmitteln in dem hochinnovativen Forschungsfeld der Tiefen Hirnstimulation durch die jetzt publizierten Forschungsergebnisse einen wichtigen Meilenstein für die weltweite Behandlung diese Patientengutes gesetzt zu haben".

Die Studie wurde an neun deutschen Universitätskliniken unter Beteiligung von je einem Zentrum in Österreich und Norwegen durchgeführt. Der Verbund der deutschen Universitätskliniken war im Rahmen des Kompetenznetzwerkes Parkinson-Syndrom durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt worden. Die Studie konnte nur durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Neurologen und Neurochirurgen im multizentrischen Verbund erfolgreich abgeschlossen werden.

(idw – Universität Rostock, 10.11.2006 – DLO)

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