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GeoUnion

„In Sedimenten lesen“

Interview mit Margot Böse, der neuen Präsidentin der Deutschen Quartärvereinigung

Margot Böse © Margot Böse

Eiszeiten und das Paläoklima der letzten 2,6 Millionen Jahre sind ihre Leidenschaft: Professor Margot Böse von der Freien Universität Berlin ist neue Präsidentin der Deutschen Quartärvereinigung e.V. (DEUQUA). Damit ist sie die erste Frau an der Spitze der traditionsreichen Vereinigung, die sich der Erforschung von Klimaschwankungen in der jüngeren Erdgeschichte und ihren Auswirkungen auf die Umwelt widmet. In einem Interview gibt Böse Auskunft über Ihre neue Arbeit.

GeoUnion:

Der Begriff Quartärforschung ist sicherlich nicht allen geläufig – können Sie kurz erläutern, womit sich diese beschäftigt?

Böse:

Das Quartär ist ein geologisch recht junger Zeitraum, mit dem sich viele verschiedene Disziplinen und wissenschaftlich Einrichtungen unter dem Dach der Quartärforschung befassen. Im Zentrum des Interesses stehen die Entwicklung des Reliefs und des Klimas, die Veränderungen der Meeresströmungen oder auch von Vegetation, Tierwelt und Boden. Entscheidend ist aber die Menschheitsentwicklung, die sich im Quartär vollzog, wodurch sich diese Phase der Erdgeschichte grundlegend von anderen geologischen Perioden unterscheidet. In der jüngsten Epoche, dem Holozän, hat der Mensch sogar damit begonnen, ganz beträchtlich in die Gestaltung der Erdoberfläche und damit auch des Klimas einzugreifen. Aufschluss hierüber geben spannende Messmethoden wie die Baumring- oder Pollenanalyse sowie Eisbohrkerne oder Sedimentproben.

GeoUnion:

Was macht die Erforschung des Quartärs so spannend?

Böse:

Die Faszination des Quartärs liegt vor allem in den raschen, klimagesteuerten Umbrüchen sowie der Formung der Erdoberfläche durch natürliche Veränderungen und menschliche Eingriffe. Um die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung zu verstehen, müssen immer wieder einzelne Bauteile und Daten wie in einem Puzzle zusammengefügt werden.
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So konnten beispielsweise Wissenschaftler aus den Disziplinen der marinen Forschung mithilfe von Tiefseebohrkernen feststellen, dass seit dem Neogen vor rund 20 Millionen Jahren die Klimaänderungen kontinuierlich stärker wurden. Hingegen lassen sich in den festländischen Bereichen seit dem Beginn des Quartärs gravierende Umbrüche im Prozessgeschehen feststellen, die möglicherweise auch zur Menschheitsentwicklung beigetragen haben. Dazu gehören Wüstenbildungen, zeitweise Vergletscherungen von Kontinentteilen und die Ausbreitung unwirtlicher Periglazialgebiete in den mittleren Breiten. Klimaumbrüche sind oft sehr rasch erfolgt und der Mensch mußte sich an die sich ändernden Lebensbedingungen anpassen.

GeoUnion:

An welchen Themen forschen Sie zurzeit?

Böse:

Meine derzeitigen Forschungen sind zweigeteilt: einerseits arbeite ich in Norddeutschland an landschaftsgeschichtlichen Fragen im Altmoränengebiet sowie an der Datierung der Haupteisrandlagen der Weichseleiszeit. Diese so genannte Chronostratigraphie stellt eine Forschungslücke in diesem Raum dar. Andererseits befasse ich mich seit einigen Jahren in Ost-Asien, speziell in Taiwan, mit der Hochgebirgsforschung. Zunächst haben wir dort in einem heute eisfreien Gebirge die Vergletscherung während der letzten Kaltzeit untersucht. Nun richtet sich unser Augenmerk auf die Abtragungsprozesse an Hängen und Flüssen. Diese werden durch höhen- und klimagesteuerte Prozesse wie Taifune oder Erdbeben beeinflusst und führen immer wieder zu Katastrophen. Wir wollen mit unseren Arbeiten letztendlich einen Beitrag zur Katastrophenprävention leisten.

"Lesen" im Geschichtsbuch der Erde © Margot Böse

GeoUnion:

Was hat einst Ihr Interesse am Quartär geweckt?

Böse:

Eigentlich wollte ich Geographie-Lehrerin werden, aber während des Studiums fing mir plötzlich die Geländearbeit in der physischen Geographie an, großen Spaß zu machen. Ich brannte darauf, Neues zu entdecken und Proben für Datierungen zu entnehmen. Vor allem begeisterte es mich aber, in den Sedimenten wie in einem Geschichtsbuch der Erde „zu lesen“. Diese Fragestellungen faszinieren mich auch heute noch und ich halte daher eine solide Geländeausbildung nach wie vor für unerlässlich. Denn trotz aller anderen neuen Methoden – wovon ich die Fernerkundung für die räumliche Analyse besonders schätzen gelernt habe – kann die alleinige Bewertung von Daten und Modellen „im Büro“ sehr schnell in die Irre führen.

GeoUnion:

Was ist für Sie persönlich die spannendste Entdeckung der letzten Jahre?

Böse:

Es ist nicht eine einzelne Entdeckung, sondern die Tatsache, dass neue Datierungsmethoden immer genauer und aussagekräftiger werden. Die Ergebnisse haben die Vorstellungen davon, wann und wie Prozesse und Entwicklungen in der Erdgeschichte abgelaufen sind, gründlich revidiert.

GeoUnion:

Vielen Dank für das Gespräch.

(Margot Böse, Freie Universität Berlin, 07.11.2006 – AHE)

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