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Dübelraub stürzt Apollon-Tempel

Zerstörungen am antiken Heiligtum von Didyma in neuem Licht

Apollon-Tempel: rekonstruiert (oben)und heute (unten) © Jörg Reichert

Der Apollon-Tempel im türkischen Didyma ist über 2.000 Jahre alt und zählt zu den herausragendsten Bauwerken der Antike. Seine imposante Größe zeugt auch heute noch vom handwerklichen Geschick der Erbauer, selbst wenn Erdbeben und Brände inzwischen einen Großteil der Anlage zerstört haben. Umfangreiche Untersuchungen an der Bausubstanz durch Archäologen und Geologen haben nun jedoch gezeigt, dass vermutlich erst der Raub der einst stabilisierenden Bleidübel im Mauerwerk den Einsturz der Säulenkonstruktion beschleunigt hat.

Mehrere hundert Jahre dauerten die im vierten Jahrhundert vor Christus begonnenen Bauarbeiten am Apollon-Tempel von Didyma. Obwohl das fußballfeldgroße Gebäude wohl nie vollständig fertig gestellt wurde, zählte es neben Delphi zu den bedeutendsten griechischen Orakeln und Heiligtümern seiner Zeit. Die heute sichtbaren Zerstörungen gehen zweifelsohne zum größten Teil auf Erdbeben zurück, die diese Region häufig erschüttern. Lange Zeit galt es daher als Rätsel, warum die damaligen Architekten gerade an einem solch erdbebengefährdeten Ort einen derart imposanten Tempel errichteten.

Bleidübel gegen Erdbeben

„Heute wissen wir jedoch, dass sie sich durchaus der Gefahr bewusst waren und zudem auch die geeigneten Mittel besaßen, den mächtigen Tempelbau zu schützen: Sie setzten Bleidübel ein“, erläutert Jörg Reichert von der Universität-Halle-Wittenberg. Der Geologe gehört zu einer Forschergruppe, die unter der Leitung von Professor Gregor Borg vom Institut für Geowissenschaften und in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Archäologischen Institut in Berlin eine Dokumentation über den aktuellen Zustand der Bausubstanz angefertigt hat. „Dazu gehört eine geologisch-archäologische Kartierung der Umgebung, die Herkunftsnachweise der im Tempel verbauten Marmore sowie die Erkundung der Schädigungsmechanismen an den Bausteinen des Tempelbaus“, so Reichert.

Die Schadensanalyse ergab, dass die einzelnen Marmorquader ursprünglich in festgelegten Abständen mit Bleidübeln versehen waren. „Deren plastische Eigenschaften gaben dem Mauerwerk eine zusätzliche Stabilität und hielten die Quader trotz der Erschütterungen bei Erdbeben zusammen“, so der Geologe. „Doch da Blei später ein begehrter Rohstoff beispielsweise für die Munitionsproduktion wurde, fand nach Aufgabe des Tempels eine gezielte Suche nach diesem wertvollen Material statt.“ Die Wissenschaftler vermuten, dass es letztlich erst durch diesen Dübelraub zu den späteren verheerenden Erdbebenschäden kommen konnte.

Schwarzkrusten kein Brandmal

Schäden im Mauerwerk: Dübelraub (oben) und Schalenbildung (unten) © Jörg Reichert

Doch dies ist die nicht einzige Überraschung, die im Laufe der Untersuchungen ans Tageslicht kam. So wird bei Tempelführungen häufig auf die Schwarzkrusten hingewiesen, die den Marmor großflächig bedecken und auch schon einmal als „Russbildung“ früherer Brände gedeutet werden. Dies ist aber ein Irrtum, wie Reichert zu berichten weiß. Denn bei den Schwarzkrusten handelt sich um eine oberflächliche mikrobielle Besiedelung mit Flechten. Diese treten nur dort in Erscheinung, wo der Marmor während der niederschlagsreichen Periode mit hinab laufendem Wasser in Kontakt kommt. „Die Ästhetik des Bauwerkes wird dadurch zwar stark in Mitleidenschaft gezogen, doch die Gefahr für die Substanz des Mauerwerks ist recht gering“, stuft Reichert das Ergebnis ein.

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Ganz anders sieht dies jedoch im Fall der Feuerschäden aus. So wurde der Tempel im Laufe späterer Jahrhunderte für die Lagerung von Getreide, Öl und anderen Gütern zweckentfremdet. Diese leicht brennbaren Stoffe führten zu zahlreichen, stellenweise verheerenden Bränden im Bereich des Dodekastylos (Zwölfsäulensaal) sowie des Adytons, dem innersten Heiligtum des Tempels. Diese lassen sich vor allem an den typischen Abschalungen des Marmors erkennen.

„Absanden“ bedroht Tempel

„Während des Brandes bildeten sich Schwächezonen im Marmor aus, die auch jetzt noch, viele hundert Jahre später, zum schaligen Ablösen einzelner Marmorschalen führen“, erklärt Reichert das Schadensbild. Darüber hinaus schwächten die Brände den Zusammenhalt der Marmor-Kalzitkristalle, so dass der Stein zum „Absanden“ neigt. Hierbei löst sich der Marmor bereits beim Berühren mit der Hand in sandgroße Einzelkörner auf. „Diese Auflösungserscheinungen gehören zu den bedrohlichsten Zerstörungsprozessen, die auch heute noch weiter voranschreiten. Der sukzessive Zerfall der vorgeschädigten Bausteine lässt sich nur äußerst schwer verhindern“, resümiert Reichert.

unten: Der Blick auf den Frontbereich des Apollon-Tempels mit dem Dodekastylos (Zwölfsäulensaal, Mitte) vermittelt einen sehr guten Eindruck über den starken Zerstörungsgrad des Tempelbaus. © Jörg Reichert

Als Ergebnis ihrer umfassenden Untersuchungen erstellten die Wissenschaftler nun eine Schadenskarte, auf der diese und viele weitere zerstörerische Mechanismen zusammengefasst sind. Die Karte könnte zukünftig helfen, einen raschen Überblick über die Art und das Ausmaß der Schädigungen in den untersuchten Arealen zu geben und so die Restaurierungs- und Sanierungsarbeiten am Apollon-Tempel erleichtern.

(Jörg Reichert, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 03.11.2006 – AHE)

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