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Physik

Turbulenzen doch nicht dauerhaft?

Chaotische Strömungen in Rohren sind nur vorübergehend

Turbulenzen treten bei sehr hohen Strömungsgeschwindigkeiten auf, wie etwa in der Luft um ein fahrendes Auto oder ein Flugzeug. Bislang ging man davon aus, dass diese chaotischen Verwirbelungen von dauerhafter Natur sind. Diesem Paradigma hat nun erstmals eine internationale Forschergruppe widersprochen und ihre neuen Ergebnisse in „Nature“ veröffentlicht. Turbulente Strömungen in Röhren, so der Kern der Aussage, gehen im Laufe der Zeit wieder in eine gleichförmige Strömung über. Sollte sich diese Entdeckung bestätigen, so hätte dies nicht nur weit reichende Konsequenzen für theoretische Modelle in Physik und Mathematik, sondern auch in der Erforschung von Schwarzen Löchern.

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„Unsere Ergebnisse“, so Professor Bruno Eckhardt von der Philipps-Universität Marburg, „haben weit reichende Konsequenzen für unser Verständnis der Natur des turbulenten Zustands und für die Beeinflussung turbulenter Strömungen.“ Gemeinsam mit Wissenschaftlern der britischen University of Manchester und der niederländischen Delft University of Technology hatte Eckhardt Experimente über das Strömungsverhalten in Rohren durchgeführt. „Trotz der Allgegenwart des Problems ringt man aber weiter um eine zuverlässige Beschreibung“, erklärt Eckhardt, Leibnizpreisträger des Jahres 2002. Grund dafür sei, dass sich turbulente Strömungsfelder nicht analytisch fassen lassen, sondern dass man für ihre Beschreibung auf Experimente und numerische Verfahren angewiesen ist.

Fließgleichgewicht in Frage gestellt

Verstärkt noch durch Ergebnisse aus der Chaosforschung habe sich in den letzten Jahrzehnten die Vorstellung durchgesetzt, dass eine turbulente Strömung als eigenständiger Zustand aufzufassen sei, in dem ein Fließgleichgewicht herrsche. Denn einerseits erzeugen die in der Flüssigkeit aneinander reibenden Flüssigkeitsschichten Wärme. Dabei geht der Turbulenz Energie verloren, so dass die Strömung von selbst wieder zur Rückkehr in den laminaren Zustand tendieren sollte. Gleichzeitig aber wird der Strömung durch den Druckunterschied zwischen Anfang und Ende des Rohrs auch Energie zugeführt, sodass die Turbulenz schließlich doch – und zwar auf Dauer – erhalten bleibt. Genau dieser Vorstellung, dass der Druckunterschied den turbulenten Zustand auf Dauer aufrechterhält, widersprechen Eckhardt und seine Kollegen nun.

Die experimentelle Überprüfung ihrer Hypothese stellte allerdings besondere Anforderungen. „Eine turbulente Strömung durch einen Gartenschlauch, der einmal um den Äquator gewickelt ist“, so schätzen die Wissenschaftler ab, „müsste durchschnittlich fünf Jahre lang fließen, bis man beobachten könnte, dass die Strömung wieder zerfällt.“ Zwar nicht anhand eines Gartenschlauchs, sondern mittels eines dreißig Meter langen Kupferrohrs im Keller des Physikgebäudes in Manchester sowie mithilfe numerischer Simulationen auf dem neuen MARC- Hochleistungsrechner der Philipps-Universität belegten die Forscher, dass die am Beginn des Rohrs angeregte Turbulenz schlussendlich wieder zerfällt.

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Lange Lebensdauer, aber nicht dauerhaft

„Allerdings steigt ihre Lebensdauer in Abhängigkeit von verschiedenen Parametern exponentiell sehr stark an“, so Eckhardt. Für ein beispielhaftes städtisches Abwasserrohr von sechzig Zentimetern Durchmesser wurde auf Basis der neuen Ergebnisse sogar eine Abklingzeit von 10 hoch 3000 Jahren errechnet – verglichen damit ist nicht einmal das Alter unseres Universums, runde 14 Milliarden Jahre, eine nennenswerte Zahl. Diese Umstände dürften zumindest zum Teil erklären, warum man bislang von einer dauerhaften Turbulenz ausging. „Unsere Beobachtungen zeigen aber darüber hinaus“, so Eckhardt, „dass das Netzwerk von Strömungszuständen komplizierter und komplexer ist als bisher angenommen und eine andere Beschreibungs- und Betrachtungsweise erfordert.“

Die Ergebnisse der internationalen Forschergruppe sind von Bedeutung für die mathematische Beschreibung turbulenter Strömungen, für deren (praktische) Beeinflussbarkeit und für eine Reihe von Anwendungen etwa im Bereich der Astrophysik. Die Möglichkeit, dass die Strömung wieder zerfällt, bedeutet unter anderem, dass sich eine turbulente Rohrströmung mit minimalem Energieaufwand wieder in einen laminaren Zustand überführen lassen sollte. Astrophysiker dürften sich für Eckhardts Ergebnisse insbesondere im Zusammenhang mit dem Phänomen der Akkretion interessieren. Dabei ziehen kosmische Objekte wie Sterne oder Schwarze Löcher aufgrund ihrer Schwerkraft Materie aus der Umgebung an. Im Zuge der entstehenden turbulenten Materieströme bilden sich dann Planetensysteme oder ganze Galaxien.

„Unsere Ergebnisse sind allerdings so verblüffend“, sagt Eckhardt, „dass sie sicherlich kritische Überprüfungen herausfordern werden.“ Diese werden sich voraussichtlich nicht nur auf Rohrströmungen, sondern auch auf verwandte Strömungssituationen beziehen. Doch die beteiligten Forscher sind sich sicher: „Mit dem transienten Chaos im Rohr haben wir für einen weiteren Typ nichtlinearer Dynamik eine Realisierung in einer Strömung gefunden.“

(idw – Philipps-Universität Marburg, 07.09.2006 – AHE)

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