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Neurobiologie

Schmerzgedächtnis auch bei schwachen Schmerzen

Zellulärer Mechanismus für Schmerzverstärkung aufgezeigt

Ständige Schmerzen können einem auf die Nerven gehen – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn sie lösen Veränderungen an den Nervenzellen aus, die für die Weiterleitung des Schmerzsignals verantwortlich sind. So kann der Schmerz sogar dann andauern, wenn das eigentliche Signal schon lange abgeklungen ist. Dass dies auch schon bei schwachen Schmerzen geschieht, haben nun Wiener Forscher herausgefunden. Jetzt initierten sie ein Expertentreff zu diesem Thema.

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Die Schmerzverstärkung ist zwar sowohl für schwache wie auch für starke Schmerzen bekannt, das Erklärungsmodell wie dieses Phänomen entsteht, beruhte aber bisher ausschließlich auf Untersuchungen mit starken Schmerzreizen. Tatsächlich verursachen schwache Schmerzen nicht all jene neuronalen Vorgänge, die das bisherige Erklärungsmodell für die Schmerzverstärkung fordert.

Vor kurzem veröffentlichte die Arbeitsgruppe um Professor Jürgen Sandkühler, Abteilung für Neurophysiologie der Medizinischen Universität Wien, Ergebnisse in Science, die eine Schmerzverstärkung auch bei schwachen Schmerzen erklären.

„Wir konnten in einem kontrollierten Laborsystem zeigen, dass die Verstärkung selbst dann auftritt, wenn der Schmerz ganz schwach ist“, erklärt Sandkühler. „Tatsächlich haben wir elektrische Reize verwendet, die 50-mal schwächer waren als jene die bisher angewendet wurden, um eine Verstärkung zu provozieren. Solche schwachen Schmerzsignale sind charakteristisch bei der Wundheilung und Entzündungen."

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Zudem konnte Sandkühler auch jene Zellen identifizieren, die für diese bisher unbekannte Verstärkung verantwortlich sind. Diese Zellen liegen in der als Lamina I bezeichneten Schicht im Hinterhorn des Rückenmarks und sorgen dafür, dass die Signale der peripheren Schmerzfasern auf die zum Gehirn führenden Nervenbahnen im Rückenmark übertragen werden.

Leuchtender Hinweis

In dem umfassenden Projekt zeigten die Wissenschaftler auch, welcher zelluläre Mechanismus für diese bisher unbekannte Verstärkung verantwortlich ist. Dazu wurden Zellen mit Farbstoffen versetzt, die in Abhängigkeit der Konzentration an Kalzium-Ionen leuchten. So konnte gezeigt werden, dass die Konzentration an Kalzium-Ionen in diesen Zellen der Lamina I auch in Reaktion auf schwache Schmerzreize sehr stark ansteigt. Tatsächlich sind Kalzium-Ionen bei einer Vielzahl an zellulären Signalübertragungen beteiligt. So auch in diesem Fall, wo die Kalzium-Ionen Proteine aktivieren, die der Weiterleitung des Schmerzreizes dienen.

Tatsächlich haben diese neuen Erkenntnisse grundlegende Bedeutung für die Schmerztherapie. Dazu Sandkühler: "Möchte man eine Verstärkung nachhaltig vermeiden, dann reicht es nicht aus, Patientinnen und Patienten zum Beispiel nach einer Operation für kurze Zeit mit Schmerzmitteln zu versorgen. Die Schmerztherapie muss so lange ohne Unterbrechung fortgeführt werden, bis der Schmerz weitgehend abgenommen hat."

Damit diese Empfehlungen rasch umgesetzt werden, engagiert sich Sandkühler auch für die Organisation eines ExpertInnen-Treffens zum Thema. So wird bereits am 10. November 2006 die Veranstaltung "Risikoabschätzung in der Schmerztherapie" stattfinden, deren Ziel es ist die Chancen und Risiken der aktuellen Therapieverfahren auch vor dem Hintergrund der neuen Erkenntnisse zu bewerten. Gemeinsam mit der Interdisziplinären Gesellschaft für Orthopädische Schmerztherapie (IGOST) gelang es Sandkühler VertreterInnen der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS), sowie der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) und international renommierte SchmerzforscherInnen zu dieser Veranstaltung nach Wien einzuladen. Damit werden die Ergebnisse aus diesem FWF-Projekt rasch für konkrete Empfehlungen zur Therapie an Kliniken genutzt.

(FWF, 29.08.2006 – NPO)

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