Die Augen gehören zu den ersten erkennbaren Strukturen eines Embryos. Sie entwickeln sich aus seitlichen Ausbuchtungen eines röhrenförmigen Gewebes das später das Gehirn bilden wird. Nun haben Forscher herausgefunden, dass die Zellen schon früh in der Entwicklung darauf programmiert werden, Augen zu bilden. Die Zellen wandern einzeln und entlang „ausgeschilderter“ Bahnen an den richtigen Ort. Die Studie, die in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Science erscheint, revolutioniert die bisherige Lehrmeinung und deutet an, dass auch andere Organe durch Bewegungen einzelner Zellen anstatt ganzer Gewebelagen entstehen könnten.
“Man kann sich die Röhre wie einen leeren Luftballon in der Form einer Mickey Maus vorstellen,” sagt Jochen Wittbrodt, der am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg mit ausgefeilten Mikroskopieverfahren die Bewegung einzelner Zellen in den durchsichtigen Embryos des Medakafischs verfolgt hat. “Während der Fisch wächst, wölben sich die Augen Schritt für Schritt aus der Röhre aus, genau so wie sich die Mickey Maus Ohren des Ballons ausdehnen, wenn dieser mit Luft gefüllt wird. Die meisten Wissenschaftler dachten, dass die Zellen in angrenzenden Regionen wachsen und die Ausbuchtungen formen. Was wir beobachtet haben ist aber, dass einzelne Zellen aus der Mitte der Röhre herbei kommen. So als ob winzige Gummipartikel aus dem Inneren des Ballons herbei geflogen kommen um die Ohren zu formen.“
Augen unterm Mikroskop
Felix Loosli aus Wittbrodts Labor entdeckte 2001 das Protein Rx3, das für die Entstehung des Auges benötigt wird. Nur die Zellen, die zum Auge gehören, beginnen schon in frühen Entwicklungsstadien damit das Molekül zu produzieren. Martina Rembold aus Wittbrodts Team kennzeichnete diese Zellen mit Fluoreszenz und verfolgte ihre Bewegungen mit hochentwickelter Software, die Richard Adams an der Universität Cambridge entwickelte. Um den Zellen folgen zu können, musste man sie erst unter dem Mikroskop erkennen und dann zehntausende von Bildern in 3D Filmen zusammensetzen.
„Rx3 ist entscheidend daran beteiligt den Zellen ihre Identität zu verleihen und ihnen zu sagen wo sie hin müssen,“ sagt Rembold. „Normalerweise wandern die Zellen aktiv, jede für sich aus dem Inneren des Gehirns um die Augen zu bilden. Aber Fischstämme, die kein Rx3 haben, entwickeln keine Augen und die Zellen bleiben im Gehirn, weil ihnen niemand sagt, wohin sie gehen müssen.“
Wegweiser im Embryo
Im Embryo sind die Wege für Zellwanderungen mit Wegweisern ausgeschildert, die verschiedene Arten von Zellen entweder anziehen oder abstoßen. Dank Rx3 bevorzugen Augenzellen die Hinweise, die den Weg zum Augenfeld markieren und folgen ihnen entgegen dem Strom von Gehirnzellen, die von dem gleichen Signal abgestoßen werden. Ohne Rx3 verlieren Augenzellen ihr feines Gespür und folgen der Masse der Gehirnzellen in die entgegengesetzte Richtung.
Von vielen anderen Organen wird angenommen, dass sie dadurch entstehen, dass sich Lagen von Zellen in angrenzenden Gebieten ausdehnen und neue Formen bilden. Die aktuelle Studie deutet an, dass die Wanderung einzelner Zellen häufiger vorkommt als Wissenschaftler bisher vermuteten. „Wir wissen, dass Zellmigration eine wichtige Rolle in der Entwicklung von anderen Organen, wie zum Beispiel dem Herz, spielt,“ sagt Wittbrodt. „Wir möchten verstehen wie Gewebe entstehen, wie sich Zellen im Embryo bewegen und die Wegweiser entschlüsseln, die ihnen zeigen, wo es lang geht. Unser Verfahren, mit dem wir einzelne Zellen verfolgen, wird uns dabei helfen diese Vorgänge besser zu verstehen.
(European Molecular Biology Laboratory (EMBL), 25.08.2006 – AHE)