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Naturwissenschaften

Was haben Staus, Tornados und epileptische Anfälle gemeinsam?

Neues Forschungszentrum ist Extremereignissen auf der Spur

Staus, Tornados, Erdbeben und epileptische Anfälle – Forscher der Universität Bonn vermuten, dass sich derartige Extremereignisse auf ähnliche Weise ankündigen. Darum haben sie ein Zentrum gegründet, das kaum vorhersagbaren Phänomenen auf den Grund gehen will.

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Wenn der Radreifen eines ICE bricht, hat das auf den ersten Blick wenig mit einem epileptischen Anfall gemeinsam. Dennoch vermuten Forscher der Universität Bonn, dass sich derartige Extremereignisse auf ähnliche Weise ankündigen. Mathematiker, Physiker, Meteorologen, Biologen und Mediziner der Bonner Alma Mater haben sich nun zu einem Zentrum zusammengeschlossen, das kaum vorhersagbaren Phänomenen wie Staus, Monsterwellen oder Erdbeben auf den Grund gehen will. Ihr Credo: Die Disziplinen können nicht nur viel voneinander lernen, sondern gemeinsam auch die mathematischen Werkzeuge weiter entwickeln, mit denen sich Extremereignisse untersuchen lassen.

Vorhersagemethode gesucht…

Dass in seinem Gehirn bald ein elektrischer Sturm losbricht, bekommt Hans S. im Vorfeld gar nicht mit: Seit zwanzig Jahren erleidet er alle paar Monate in unregelmäßigen Abständen einen epileptischen Anfall. Stets trifft es ihn wie aus heiterem Himmel. Schon eine Warnung kurz vor einem Anfall würde Hans S. helfen – dann könnte er beispielsweise wieder ohne Angst Auto fahren.

"Wir suchen im Verlauf der Hirnströme von Epileptikern nach Mustern, die auf einen nahenden Anfall hindeuten", sagt Dr. Klaus Lehnertz. Der Physiker, der in der Bonner Klinik für Epileptologie arbeitet, kann sich schon über erste Erfolge freuen: "Wir haben mit großer Wahrscheinlichkeit einen Voranfallszustand im EEG-Muster identifiziert, eine Art Fingerabdruck", sagt er. Das Problem: Der eigentliche epileptische Anfall kann Minuten später folgen, aber auch Stunden – wann genau, kann Lehnertz (noch) nicht vorhersagen. "Wir haben die mathematischen Methoden bis an ihre Grenze ausgereizt", betont er. "Jetzt müssen neue Werkzeuge her – das Gehirn ist einfach zu komplex."

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Muster in der Datenmenge

Abhilfe erhofft er sich vom Blick über den Tellerrand. "Vielleicht können wir für unser Problem von Meteorologen genauso viel lernen wie von Mathematikern." Diesen Wunsch teilt er mit Professor Dr. Karl Maier: "Wenn Sie ein Stück Blech biegen, kann es dabei brechen oder nachher wieder in die Ausgangslage zurückschnellen", erklärt der Bonner Materialforscher. "Für das, was passieren wird, gibt es Anzeichen auf molekularer Ebene – ganz ähnlich, wie sich ein Sturm oder eben auch ein epileptischer Anfall in bestimmten Vorläuferereignissen ankündigt." In allen drei Beispielen gehe es darum, in einer riesigen Datenmenge bestimmte charakteristische Muster zu finden. Um zu prognostizieren, was passieren wird, nutzen Materialforscher daher auch zum Teil ein ganz ähnliches Methodenarsenal wie Meteorologen.

Lernen vom Blick über den Tellerrand

Die Wissenschaftler, die sich unter dem virtuellen Dach des neu gegründeten "Interdisziplinären Zentrums für komplexe Systeme" zusammengefunden haben, wollen aber nicht nur voneinander lernen. "Wir hoffen auch, gemeinsam die statistischen Methoden weiterzuentwickeln, die man zur Prognose von Extremereignissen benötigt", erklärt der Physiker Dr. Volker Jentsch. Er ist davon überzeugt, dass der interdisziplinäre Ansatz Erfolg versprechender ist, als wenn jedes Fachgebiet im eigenen Saft schmort.

"Wir können zwar heute noch nicht sagen, ob sich Methoden aus der Finanzmathematik beispielsweise auch auf Krankheiten wie die Epilepsie anwenden lassen. Ohne Zweifel ist jedoch ein methodischer Austausch für die Erforschung von Extremereignissen von höchster Bedeutung", meint er. Und ergänzt: "In zehn Jahren werden Forschungsverbünde wie dieser alltäglich sein."

(Universität Bonn, 08.08.2006 – NPO)

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