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Neurobiologie

Gehirn braucht auch „lange Wege“

Neue Erkenntnisse zur „Verdrahtung“ des Gehirns

Neuronale Faserverbindungen bei Primaten © International University Bremen

Nicht immer ist der kurze Weg der einzig wahre: Wissenschaftlern gelang jetzt der Nachweis, dass lange Nervenfaserverbindungen für die Gehirnfunktion ebenso unerlässlich sind wie kurze Verbindungen. Langfristig können diese Erkenntnisse die Diagnose und Behandlung von Erkrankungen wie Alzheimer oder Autismus erleichtern.

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Nach der bisherigen Theorie ist die Effizienz des Nervensystems auf möglichst kurze Verbindungen zwischen Nervenzellen zurückzuführen. Die Wissenschaftler Claus Hilgetag, Professor of Neuroscience an der International University Bremen (IUB) und Marcus Kaiser, Academic Fellow an der University of Newcastle upon Tyne (UK), haben neue Erkenntnisse über die Organisation des Gehirns gewonnen. Sie kommen in ihrer Studie zu neuen Erkenntnissen: lange Verbindungen sind für eine effiziente Gehirnfunktion teilweise sogar besser. Die Studie ist in der aktuellen Ausgabe von PLoS Computational Biology veröffentlicht.

Direktverbindung besser als „Umsteigen“

Die Untersuchung basiert auf umfangreichen Analysen quantitativer neuro-anatomischer Daten von Primaten- und Wurmgehirnen. Meist werden in der Gehirnforschung Primatengehirne untersucht, wegen ihrer evolutionären Vergleichbarkeit mit dem menschlichen Gehirn. Die vorliegende umfassende Studie bezieht jedoch auch das Nervensystem eines wirbellosen Tieres ein. Die Forscher demonstrieren, dass viele kurze hintereinandergeschaltete Nervenfasern gegenüber längeren Fasern in Bezug auf Effizienz und Zuverlässigkeit in der Informationsübertragung im Nachteil sind.

Marcus Kaiser erklärt das Prinzip: "Es ist wie beim Zugfahren, mit einer Direktverbindung kommt man schneller an. Häufiges Umsteigen verlängert die Reise, und es besteht die Gefahr, einen Anschluss zu verpassen. Dasselbe gilt im Gehirn." Gehirnscans von Alzheimerpatienten und Autisten zeigen beispielsweise einen deutlichen Mangel an weitreichenden funktionellen Interaktionen.

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Milliarden Rechenschritte

In langwierigen Computerrechnungen wurde der weltweit umfangreichste Datenbestand zur Länge von Nervenfasern und neuronalen Verbindungen

(Axonen) im Primatengehirn und im Nervensystem des Wurms Caenorhabditis elegans untersucht. Überprüft wurde, wie weit sich die Gesamtlänge vorhandener Nervenverbindungen durch eine Reorganisation verringern ließe. Dazu führte ein Programm Milliarden Rechenschritte aus, in denen potenzielle Neuanordnungen der verbundenen neuronalen Komponenten überprüft wurden. Es zeigte sich, dass aufgrund der überraschend großen Anzahl langer Nervenfasern eine bis zu 50 prozentige Verkürzung der neuronalen Verdrahtung möglich wäre.

"Im Allgemeinen wird das Gehirn mit einem Computer verglichen, dessen optimale Wirksamkeit durch eine Vielzahl kurzer Verbindungen zwischen den Nervenzellen bestimmt wird. Unsere Forschung zeigt jedoch, das die Kombination unterschiedlicher Verbindungslängen zwischen den neuronalen Komponenten wichtig ist," erklärt Claus Hilgetag. Diese Beobachtung bestätigt auch eine Vermutung, die der Computerpionier John von Neumann bereits vor 50 Jahren zur Arbeitsweise des Gehirns aufgestellt hat.

(International University Bremen, 08.08.2006 – NPO)

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