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Medizin

„Proteinklemme“ schützt Tollwutvirus

Hochauflösende Strukturbilder zeigen Funktionsweise von viralem Schutzschild

Proteinschutzschild des Tollwutvirus © EMBL

Gegen die Tollwut gibt es bis heute kein Heilmittel. Wie aber schafft es das Tollwutvirus, dem menschlichen Immunsystem so effektiv zu widerstehen? Wissenschaftler haben jetzt ein detailliertes Strukturbild eines Proteins erlangt, dass es dem Virus ermöglicht, sich ungestört in den Zellen zu überleben und sich zu vermehren. Die jetzt in „Science“ veröffentlichte Studie bietet neue Ansatzstellen für eine Therapie – auch gegen andere von RNA-Viren verursachte Krankheiten wie Ebola und Masern.

Ist das Tollwutvirus einmal von der Infektionsstelle über das Blut in das Nervensystem und Gehirn gedrungen, ist jede Behandlung nahezu wirkungslos. Gegen die Tollwut gibt es zwar eine Impfung, aber kein Heilmittel, das auch noch nach der Frühphase der Infektion wirkt. Auslöser der tödlichen Krankheit ist, wie bei Ebola und Masern auch, ein RNA-Virus. Die Viren dieser Klasse haben ihre Erbinformation nicht wie die meisten anderen Lebewesen in der Doppelhelix der DNA konserviert, sondern in einer aus nur einem Strang bestehenden RNA. Sie wird nach der Infektion in den Zellkern der Wirtszellen geschleust und hier die zelleigene Maschinerie dazu gebracht, diese zu replizieren.

Protein als Schutzschild

Doch damit das funktioniert, spielt ein Protein, das so genannte Nucleoprotein, eine entscheidende Rolle. Es sorgt dafür, dass die Viren-RNA bei ihrem Weg durch die Zelle nicht von der Immunreaktion des Wirts zerstört wird. „Das Nucleoprotein ist existenziell für das Tollwutvirus“, erklärt Rob Ruigrok, Leiter des Instituts für molekulare und strukturelle Virologie (IVMS). „Es ist eines der wenigen Proteine, die das Virus in die Wirtszelle mitbringt und die um seine RNA gewickelt ist wie ein Schutzschild. Ohne dieses Schild wurde die RNA durch die angreifenden Enzyme des menschlichen Immunsystems degradiert werden.“

Gemeinsam mit Kollegen von der Außenstelle des Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie (EMBL) in Grenoble untersuchte Ruigrok, wie dieser Schutzschild funktioniert. Dafür erstellten die Forscher zunächst Kristalle des an die RNA gebundenen Nucleoproteins. Mithilfe der starken Röntgenquelle an der Europäischen Synchrotronenstrahl Einrichtung (ESRF) gelang es ihnen, ein hochauflösendes Bild der Struktur dieses Proteins zu erhalten.

Klemme mit schwenkbaren „Kiefern“

“Das Nucleoprotein wirkt wie eine Klemme”, erklärt Winfried Weissenhorn vom EMBL. „Es besteht aus zwei Domänen die den RNA-Strang wie zwei Kiefer umfassen. Viele dieser Nucleoproteine binden Seite an Seite über die Länge des RNA-Strangs verteilt und machen ihn so unzugänglich für die degradierenden Enzyme aber auch für die Maschinerie, die das Virus zum replizieren braucht. Deshalb muss das Schutzschild flexibel sein und zwischen den unterschiedlichen Enzymtypen unterscheiden können.“

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Das detaillierte Strukturbild deutet darauf hin, dass auf ein bestimmtes Signal hin, ein Proteinteil als Gelenk fungiert und den „Oberkiefer“ aus dem Weg schwenkt, wenn ein Replikationsenzym ansetzen soll. „Dieser dynamische Prozess macht das Nucleoprotein zu einem exzellenten Zielmolekül für uns“, so Ruigrok. „Kleine Verbindungen, die so an dem Protein binden, dass sie seine Flexibilität blockieren und es in permanent geschlossenem Status halten könnten die Replikation des Virus verhindern und so seine Ausbreitung stoppen.“

Das Tollwutvirus teilt diese Schutzstrategie auch mit anderen Viren seiner Klasse: Auch in Ebola, Masern und dem Bornavirus wunden ähnliche Proteine entdeckt. „Das bedeutet, dass unsere Ergebnisse nicht nur für die Entwicklung neuer Tollwutmittel Auswirkungen haben, sondern auch neue therapeutische Ansätze für eine ganze Reihe von Krankheiten bieten, von denen einigen noch bedrohlicher sind als die Tollwut“, erklärt Weissenhorn. „In anderer Hinsicht bietet das Nucleoprotein-System auch Raum für evolutionsbiologische Spekulationen über gemeinsame Vorfahren und vorzeitliche Infektionseinheiten der RNA-Viren.“

(EMBL, 19.06.2006 – NPO)

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