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Bildung

Schlechte Noten durch autoritäre Erziehung?

Erziehungsstil beeinflusst die kindliche Entwicklung entscheidend

Heute gehört es zum guten Ton, den Grund für Schulschwierigkeiten oder aggressives Verhalten von Kindern in der elterlichen Nachlässigkeit zu sehen und die Rückkehr zu strengeren Erziehungsformen zu fordern. Eine neue Studie der Universität Lausanne kommt dagegen zu einem ganz anderen Ergebnis. Sie belegt, dass sich Autorität in der Familie negativ auf die schulischen Leistungen und die Selbstachtung der Kinder auswirken können.

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„Angesichts der gegenwärtigen Diskussionen über die Nachlässigkeit der Eltern wollten wir wissen, was tatsächlich in den heutigen Familien in der Westschweiz geschieht“, beschreibt Professor Alain Clémence von der Fakultät des sciences sociales et pédagogiques die Vorgehensweise des Teams. „Wir haben zwei Ziele verfolgt: Zunächst wollten wir die Art der elterlichen Autoritätsausübung im Alltag in Erfahrung bringen, um dann in einem zweiten Schritt die Auswirkungen der verschiedenen Praktiken auf die Leistungen in der Schule und das Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen ermitteln zu können.“

Hierfür wurden 500 Schülerinnen und Schüler im Alter von 12 bis 15 Jahren in Cossonay, Bex und Delsberg befragt, drei Orte, die den Forschern aufgrund ihrer ausreichend durchmischten Bevölkerung eine Verallgemeinerung der Resultate erlauben. Vervollständigt wurden die schriftlichen Fragebogen anschließend durch Gespräche mit 26 Lehrkräften und Eltern von ungefähr 100 Schülern.

Den Forschern fiel auf, dass die "autoritative" Erziehung, bei der die Kinder an familiären Entscheidungen mitwirken, in den Westschweizer Familien weit verbreitet zu sein scheint. „Dieser erste Eindruck wird dadurch verstärkt, dass diese spezifische Art Autorität auszuüben, als einzige in fast einem Drittel der Familien praktiziert wird“, präzisiert der Professor für Sozialpsychologie.

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Das autoritäre Erziehungsmodell, das auf einseitigem Gehorsam und der Unterordnung der Kinder basiert, ist hingegen weit weniger verbreitet. Und was die heutzutage verpönte antiautoritäre Erziehungsmethode betrifft, in welchem den Kindern ihre Erziehung gewissermaßen selbst auferlegt wird, spielt gemäß den Aussagen der Jugendlichen eine Nebenrolle und ist den Eltern zufolge sogar höchst selten anzutreffen.

Größere Selbstachtung, bessere Integration

Nachdem die zu untersuchenden Erziehungsmodelle festgesetzt waren, interessierten sich die Forscher für deren Auswirkungen auf das Verhalten, die schulischen Leistungen und ganz allgemein auf die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen. Und gerade hier stießen sie auf sehr erstaunliche Resultate. Es wurde deutlich, dass sowohl die schulische Integration als auch die Selbstachtung der Kinder steigt, wenn die Eltern sie bei Entscheidungen miteinbeziehen – dies unabhängig vom sozioprofessionellen Niveau der Eltern, der Sprache oder der familiären Situation (traditionelle Familie, Alleinerziehende oder Patchwork-Familie).

Umgekehrt ist die Selbstachtung geringer, wenn die elterliche Autorität einseitig ausgeübt wird, also wenn Eltern ihre Kinder wenig oder gar nicht an Entscheidungen teilhaben lassen und sie streng überwachen. Dieser negative Effekt zeigt sich bei den jüngsten Schülern am deutlichsten.

Das gleiche gilt für die Leistungen in der Schule. Für deren Auswertung bezogen sich die Forscher bei den 12-jährigen auf die Notendurchschnitte in Mathematik und Französisch und bei den 15-jährigen auf den allgemeinen Lernstoff. Ihre Studie zeigt auch hier unmissverständlich, dass die Leistungen besser sind, wenn das Erziehungsmodell auf aktiver Teilnahme und Mitwirkung gründet und nicht auf unabdingbaren Gehorsam abstellt. „Es ist bekannt, dass der schulische Erfolg weitgehend von der sozialen Herkunft abhängt, was unsere Forschung im übrigen bestätigt“, stellt Clémence fest. „Aber der Einfluss des jeweiligen Erziehungsmodells hinterlässt deutliche Spuren. Im Gegensatz dazu sind die Auswirkungen der Sprache im Elternhaus oder der familiären Situation auf die Schulleistungen gering.“

Wenn auch die schulischen Leistungen in jedem Fall besser ausfallen, wenn die Eltern ein partnerschaftliches Erziehungsmodell anwenden, so hebt die Studie gleichwohl die Unterschiede zwischen den Geschlechtern und den verschiedenen Schulstufen hervor. Der günstige Einfluss der auf Mitwirkung basierenden Erziehung ist demnach bei den Knaben sowie den 12-jährigen Schülerinnen am größten, der negative Einfluss einer autoritären Erziehung ist bei den 15-jährigen am stärksten spürbar, und die negativen Auswirkungen eines «Laisser-faire»-Erziehungsstils fallen bei den Mädchen und grundsätzlich gegen Ende der Schulzeit am meisten ins Gewicht.

Keinesfalls mehr Strenge

Die Lausanner Forscher hoffen, mit ihrer Forschung, die dem Ruf nach strengeren Eltern entgegensteht, einen Beitrag zur aktuellen Debatte über Erziehung und Autoritätsausübung zu leisten.

„Wir sind keine Therapeuten, sondern Forscher. Sollten wir den Eltern jedoch einen Rat geben, plädieren wir dafür, die Zügel nicht zu sehr zu straffen“, schließt Clémence. „Auch wenn das Kind Erwartungen enttäuscht, sich widersetzt und die Diskussion ablehnt, ist es wichtig, den Dialog aufrecht zu erhalten – auch wenn das nicht einfach ist.“

(Schweizerischer Nationalfonds zur Foerderung der wissenschaftlichen Forschung, Universität Lausanne, 24.05.2006 – DLO)

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