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Mikrobiologie

Rätsel um Scheinfüßchen gelöst

Neuer Komplex bei Einzellern und menschlichen Zellen gefunden

Scheinfüßchen sind bei Einzellern wie Amöben, aber auch bei bestimmten Immunzellen für die Fortbewegung und Nahrungsaufnahme zuständig. Forscher der Universität München um Professor Michael Schleicher haben nun einen bisher unbekannten Mechanismus entschlüsselt, der beim Entstehen dieser so genannten Pseudopodien eine wichtige Rolle spielt.

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Pseudopodien sind Ausstülpungen der betreffenden Zellen, mit deren Hilfe sich diese fortbewegen und Nahrung aufnehmen können. Typisch dafür sind eine veränderliche Körperstruktur mit eher formlos wirkenden Fortsätzen, die ein fließendes Vorwärtskommen ermöglichen – eine im Wortsinne "amöboide" Bewegung. Wichtig für den Menschen ist dies bei bestimmten Immunzellen. Die Makrophagen etwa kommen nur mit Hilfe ihrer Pseudopodien voran und nutzen sie auch, um Krankheitserreger zu umschließen und letztlich aufzunehmen. Die Fibroblasten dagegen nutzen für die Fortbewegung fokale Kontakte, um beispielsweise in Wunden zu wandern und diese verschließen zu können.

Bei ihnen finden sich unter anderem auch die charakteristisch fadendünnen Filopodien. Diese sind nur eine Variante der verschiedenen Pseudopodien, die alle auf das Zytoskelett für Stabilität und Flexibilität angewiesen sind. Dieser wichtige Bestandteil von Einzellern und den Zellen höherer Lebewesen kann seine verschiedenen Funktionen nur mit Hilfe einer Vielzahl von Komponenten erfüllen. Aktin ist essentiell, wobei das einzelne Aktin-Molekül nicht viel vermag. Erst im Verband als Filament, entstanden aus einer Unmenge linear angeordneter Einzelmoleküle, kann Aktin seine Aufgaben übernehmen.

Welche Rolle spielt VASP?

Dabei zeigt sich eine besondere Dynamik: Aktinfilamente "wachsen" überwiegend nur in eine Richtung und werden am anderen Ende kontinuierlich abgebaut – wenn dies nicht extra verhindert wird. So genannte verkappende Proteine, die "capping proteins", können ein Aktinfilament in beide Richtungen stabilisieren. Wenn sie sich an einem Ende anlagern, verhindern sie entweder ein weiteres Anwachsen oder den Abbau. Wissenschaftler vermuteten bisher, dass das Protein VASP Aktinfilamente vor diesen "capping proteins" schützen könnte, so dass der Anbau zusätzlicher Aktinmoleküle erfolgen kann.

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Das allerdings haben die Wissenschaftler in ihrer neuen Studie nun widerlegt, über die sie in der aktuellen Ausgabe der "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS) berichten. Sie zeigten vielmehr, dass VASP an das Protein dDia2, dessen Rolle bei der Bündelung von Aktinfilamenten ebenfalls von der Schleicher-Gruppe nachgewiesen worden war, bindet. Auch der Hinweis auf die Verbindung dieser beiden Proteine macht eine Rolle von VASP bei der Entfernung der "capping proteins" sehr unwahrscheinlich. Von dDia2 ist bereits bekannt, dass es in den Spitzen der wachsenen Filopodien liegt und außerdem nötig ist für das Anwachsen der Aktinfilamente.

Auch von VASP gab es Ergebnisse in vitro, die eine Bindung an Aktinmoleküle sowie eine Rolle bei der Initiierung des Aufbaus von Filamenten und deren Bündelung zeigen.

VASP regt Bildung von Aktinfilamenten an

Widersprüchlich waren da nur Hinweise, die eine Interaktion von VASP mit den "capping proteins" vermuten ließen. "Das konnten wir aber eindeutig widerlegen und vielmehr zeigen, dass VASP sowohl in der Bodenamoebe als auch in menschlichen Zellen die Bildung von Aktinfilamenten anregt und diese dann bündelt", so Schleicher. "Der Komplex aus dDia2 und VASP sitzt in der Spitze von Filopodien, und wir vermuten, dass diese beiden Proteine dort die Aktindynamik in den Filopodien kontrollieren."

Der Komplex bleibt sogar an dieser Stelle, während die Aktinfilamente noch aufgebaut werden – und wird wahrscheinlich mit der Filopodienspitze zusammen voranbewegt. Was noch fehlt, ist der Nachweis, dass VASP nicht nur in vitro, sondern auch in der Zelle die Bildung von Aktinfilamenten initiieren kann.

"Besonders interessant war jetzt aber schon zu sehen, dass sich die VASP-Proteine aus der relativ einfachen Bodenamoebe und den menschlichen Zellen praktisch identisch verhalten", meint Schleicher. "Das erlaubt die äußerst verführerische Spekulation, dass der Komplex aus VASP und einem Formin wie dDia2 ein in der Evolution konservierter Mechanismus der Filopodienbildung ist – von den Einzellern bis zum Menschen."

(idw – Universität München, 12.05.2006 – DLO)

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