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Physik

Gibt es Ordnung in der Unordnung?

Transportvorgänge in ungeordneten Materialien enträtselt

Die Natur und die moderne Technologie bringen eine große Vielfalt ungeordneter Materialien hervor. Dazu gehören unter anderem Fensterglas, Verbundwerkstoffe, die aus verschiedenen Komponenten zusammengesetzt sind, aber auch Zuckerwatte oder biologische Zellen. In gleichförmig aufgebauten Materialien bewegen sich winzige Partikel meist nach den Regeln der Brownschen Molekularbewegung – das ist die normale Diffusion. Sehr viel weniger gleichmäßig laufen dagegen Transportprozesse in ungeordneten Materialien ab. Physiker der Universität München haben jetzt aber auch in diesen Fällen eine Ordnung im "Chaos" entdeckt.

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"Die Unregelmäßigkeiten im Aufbau ungeordneter Materialien verlangsamen den Transport", so Professor Erwin Frey und sein Team in der Fachzeitschrift Physical Review Letters (PRL). "Die Transporteigenschaften der Partikel hängen dann direkt mit diesen strukturellen Hindernissen zusammen. Uns ist es jetzt gelungen, das dynamische Verhalten direkt von den zugrunde liegenden geometrischen Strukturen abzuleiten."

Gleichmäßig oder homogen aufgebaute Materialen haben eine kristalline Struktur und können deshalb mit einer einzigen Längenskala und einem einzigen Zeitmaßstab beschrieben werden. Mikroskopische Teilchen diffundieren in diesen Stoffen, bewegen sich damit also – statistisch gesehen – sehr gleichmäßig und vorhersagbar, in der Regel gemäß der Brownschen Molekularbewegung. Das geht sogar so weit, dass diese "Brownschen Teilchen" als Sonden in unbekannten Materialien eingesetzt werden können, um deren Eigenschaften zu bestimmen.

"Wenn es Abweichungen von der normalen Diffusion gibt, deutet das auf komplexe Materialeigenschaften hin", berichtet Frey. In ungeordneten oder heterogenen Materialien aber fehlt die typische Längenskala, stattdessen weist das Material Poren verschiedenster Größe auf, durch die sich die Teilchen bewegen können. Es entsteht in gewisser Weise ein dreidimensionales Netz mit kleinen und großen Maschenweiten.

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Proteine bewegen sich anders

"In biologischen Zellen beispielsweise kann man beobachten, dass sich Proteine nicht in normaler, sondern anomaler Diffusion bewegen", so Frey. "Man führt das auf die hohe Dichte und die unregelmäßige Anordnung der zellulären Bausteine zurück, das zu diesem so genannten 'molecular crowding' führt."

Die vorliegende Analyse beruht auf dem Lorentz-Modell, das für den Transport von Partikeln in einem ungeordneten Medium und daraus resultierenden, gleich bleibenden Hindernissen für die Teilchen entwickelt wurde. Dieses Modell erlaubt aber nur ganz grundsätzliche Vorhersagen für den verlangsamten und ungleichförmigen Transport und stößt gerade in komplexeren Systemen schnell an seine Grenzen.

"Ursprünglich wurde das Lorentz-Modell 1905 eingeführt, um den Elektronentransport in verunreinigten Metallen zu beschreiben, wobei die Verunreinigungen als Hindernisse zu sehen sind", berichtet Frey. "Das funktionierte aber nicht sehr gut. In den 60er Jahren wurde das Modell wieder aufgegriffen, um den Transport klassischer Teilchen in einem ungeordneten System zu beschreiben. Dabei wurden unter anderem Anomalien gefunden, die auf korrelierte Stöße mit den Hindernissen zurückzuführen und theoretisch sehr schwierig zu handhaben sind. Erst seit unserer Arbeit ist klar, wodurch die Lokalisierung der Teilchen bei hohen Hindernisdichten verursacht wird. Ganz genau gelang uns erstmals die Beschreibung der langsamen Dynamik und des Lokalisierungsüberganges bei sehr hoher Hindernisdichte."

Ergebnisse wichtig für Biologie und Nanotechnologie

Diese Ergebnisse erlauben weite Anwendungen von der Biologie zur Materialwissenschaft, weil sie universell für alle ungeordneten Materialien gelten. "Wir aber denken insbesondere an Anwendungen in der Biologie", meint Frey. "Langfristig besteht unsere Zielrichtung darin, den Transport von Makromolekülen in Zellen zu beschreiben. Und als nächsten Schritt haben wir vor, die Bewegung von stäbchenförmigen Proteinen in einem so genannten 'crowded environment', also einem Medium mit sehr hoher Hindernisdichte, zu analysieren. Erste Hinweise haben wir schon. Das ist wichtig, um zu verstehen, wie stark chemische Reaktionen durch die Dichte und Verteilung anderer Proteine in Zellen beeinflusst werden."

Ein weiteres wichtiges Forschungsgebiet sind chemische Reaktionen in porösen Medien. "Potential sehe ich daneben vor allem in der Nanotechnologie", so Frey. "In diesem Bereich wird es immer wichtiger, zu verstehen, wie chemische Reaktionen in nano-porösen Materialien ablaufen."

(idw – Universität München, 09.05.2006 – DLO)

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