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Medizin

Gentherapie heilt Blutkrankheit

Drei Patienten mit Immunschwäche von schweren Infektionen befreit

Einem Forschungsteam aus der Schweiz und aus Deutschland ist es erstmals gelungen, mit Gentherapie eine angeborene Blutkrankheit zu behandeln. Dies berichten die Wissenschaftler in einer online-Publikation des Wissenschaftsmagazins „Nature Medicine“. Das neue Gentherapie-Protokoll stößt weltweit auf Interesse. Denn auch andere Blutkrankheiten, die auf einem Gendefekt beruhen, könnten, so die Forscher, nach dem gleichen Prinzip behandelt werden, beispielsweise die Thalassämie oder verschiedene Speicherkrankheiten.

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Das Team um Reinhard Seger vom Universitätskinderspital Zürich, Dieter Hoelzer von der Universitätsklinik Frankfurt und Manuel Grez vom Institut für biomedizinische Forschung in Frankfurt behandelte zwei erwachsene Patienten, die an einer septischen Granulomatose litten. Diese angeborene Immunschwächekrankheit beruht auf einem Gendefekt, der die Abwehr von Blutzellen gegen Pilze und gewisse Bakterien stark beeinträchtigt.

Die Gentherapie erfolgte vor eineinhalb Jahren an der Universitätsklinik Frankfurt. Den beiden Patienten im Alter von 25 und 26 Jahren wurden blutbildende Zellen des Knochenmarks entnommen, im Reagenzglas mit einer funktionsfähigen Kopie des fehlerhaften Gens versehen und zurück transplantiert. Die veränderten Blutzellen haben sich sofort wieder im Knochenmark der Patienten eingenistet und bilden seither gesunde Immunzellen. Bestehende Infektionen haben sich zurückgebildet, und es sind keine neuen schweren Erkrankungen mehr aufgetreten.

Vor einem Jahr ist zudem ein dritter Patient, ein fünfjähriger Junge, am Kinderspital Zürich gentherapeutisch behandelt worden. Er litt an einer schweren Pilzinfektion der Lunge und der Wirbelsäule und konnte seine Beine kaum mehr bewegen. Auch bei ihm war die Behandlung erfolgreich. Die Infektion ist überwunden, und der Junge kann wieder kürzere Strecken laufen.

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Bessere Genfähre

Entscheidend für den Therapieerfolg waren zwei Innovationen: Erstens haben die Forschenden eine verbesserte Genfähre speziell für blutbildende Zellen entwickelt. Wie in anderen Gentherapie-Verfahren besteht diese aus einem abgeänderten Virus, dessen Erbgut mit der funktionsfähigen Variante des defekten menschlichen Gens ersetzt wurde. Die zweite Innovation war die Behandlung der Patienten mit einer milden Chemotherapie, kurz bevor sie die veränderten Blutstammzellen erhielten: Damit drängten die Mediziner die bestehenden krankhaften Blutstammzellen zurück, und die geheilten Zellen konnten sich im Knochenmark besser einnisten und ausbreiten.

Plötzliche Zunahme veränderter Zellen aber keine Leukämie

Neben dem Nutzen birgt die Gentherapie von Blutstammzellen allerdings auch das Risiko von Blutkrebs. Dies hat die Gentherapie von 18 Kindern mit einer anderen Immunschwächekrankheit, der SCID (severe combined immunodeficiency) in Paris und London gezeigt: Bei drei Patienten haben die Genfähren Wachstumsgene aktiviert, was zusammen mit dem ebenfalls wachstumsfördernden therapeutischen Gen zu einer Leukämie führte.

Auch bei den beiden in Frankfurt behandelten Patienten stiegen die genetisch veränderten Blutzellen ein paar Monate nach der Behandlung von 20 auf 50 Prozent an (jedoch bisher nicht beim fünfjährigen Knaben in Zürich). Zwar ist diese Zunahme günstig, weil sie die Immunabwehr verbessert. Doch sie könnte auch ein Anzeichen von Blutkrebs sein. Deshalb analysierte das Team von Christof von Kalle vom Nationalen Zentrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg Tausende von Blutzellen der Patienten.

Es zeigte sich, dass die Genfähren in gewissen Zellen drei Wachstumsgene aktiviert hatten. Ein unkontrolliertes Wachstum einzelner Zelltypen, wie dies bei Blutkrebs der Fall ist, trat jedoch nicht ein. Ausserdem wurden andere Gene aktiviert als bei den drei Leukämie-Fällen in Paris, nämlich solche, die bereits bei der normalen Blutbildung beteiligt sind. Inzwischen ist der Anteil der veränderten Blutzellen bei den beiden Patienten wieder auf 20 bis 30 Prozent gesunken. Trotzdem bleiben die Patienten unter engmaschiger Kontrolle, damit eine allfällig auftretende Leukämie sofort behandelt werden könnte.

Strenge medizinische und ethische Bewilligungsverfahren

Die Gentherapie-Behandlungen in Frankfurt wurden von der Ethikkommission der Universitätsklinik Frankfurt und der Kommission «Somatische Gentherapie» der Bundesärztekammer (Deutschland) gutgeheissen, die Behandlung in Zürich bewilligte die Kantonale Ethikkommission Zürich und der Eidgenössische Kommission für biologische Sicherheit. Die Kantonale Ethikkommission Zürich hat zudem verfügt, dass jeder Granulomatose-Patient, bei dem die gentherapeutische Behandlung in Erwägung gezogen wird, von einem unabhängigen Gremium aus ausländischen Experten beurteilt wird. Dessen Aufgabe ist es abzuschätzen, ob der Nutzen die Risiken rechtfertigt. «Nur wer lebensgefährlich erkrankt ist, wird mit der heutigen Therapiemethode behandelt», sagt Reinhard Seger.

Gleichzeitig arbeiten die Forschenden an einer verbesserten Genfähre, die das Risiko eines verstärkten Zellwachstums um das Zehnfache reduziert. Sie wird nach Einschätzung von Reinhard Seger in einem Jahr in der Klinik anwendbar sein, wenn die Tierversuche abgeschlossen sind.

Septische Granulomatose

Die septische Granulomatose ist eine lebensbedrohliche Immunschwächekrankheit, bei der die Fresszellen (Granulozyten), eine Gruppe der weißen Blutkörperchen, nicht richtig funktionieren. Die Ursache ist ein defektes Gen für ein Enzym. Die Fresszellen können Pilze und Bakterien zwar aufnehmen aber nicht abtöten. Wie trojanische Pferde schleppen sie die Erreger in andere Organe und lassen sie frei, wenn sie sterben. So entstehen immer wieder neue, schwere Infektionen.

Die Krankheit trifft etwa eines von 200'000 Kindern. Nur etwa jedes Zweite erreicht das Erwachsenenalter. Die Lebensqualität ist stark eingeschränkt; viele Kinder sind untergewichtig und kleinwüchsig und können wegen der vielen Krankenhausaufenthalte nicht regelmäßig zur Schule gehen. Die Krankheit kann zwar durch eine Blutstammzellspende geheilt werden, doch die Hälfte der Betroffenen findet keinen passenden Spender. Auch ist die Blutstammzellspende nicht ungefährlich: Sie gelingt nur in etwa 80 Prozent der Fälle und 15 Prozent der Patienten überleben die Behandlung nicht.

(Schweizerischer Nationalfonds zur Foerderung der wissenschaftlichen Forschung, 03.04.2006 – DLO)

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