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Bildung

Alter: Tanzen hält geistig fit

Sozial aktiver Lebensstil bremst Rückgang intellektueller Leistung im Alter

Ältere Menschen, die viele Freunde und Bekannte haben und häufiger Restaurants besuchen, an kulturellen Veranstaltungen teilnehmen oder Tanzen gehen, bleiben geistig fitter als andere. Dies hat eine neue Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung ergeben. Danach bremst ein sozial aktiver Lebensstil den Rückgang der intellektuellen Leistung im Alter deutlich.

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Die Psychologen hatten in ihrer Studie über einen Zeitraum von bis zu acht Jahren 516 Personen im Alter von 70 bis über 100 Jahren in ihrer persönlichen Entwicklung beobachtet. Sie wollten klären, ob soziale Teilhabe alterungsbedingte Einbußen der intellektuellen Leistungsfähigkeit abschwächen kann. Dazu nutzten sie ein neuartiges statistisches Verfahren, mit dem die Wirkungsrichtungen zwischen sozialer Teilhabe und intellektueller Leistungsfähigkeit getrennt geschätzt werden können. Die Ergebnisse liefern erstmalig einen direkten empirischen Beleg für den Beitrag sozialer Faktoren zur Intelligenzentwicklung im Alter.

Wie kommt es zur kognitiven „Alterung“?

Seit längerem ist bekannt, dass soziale Teilhabe und geistige Leistungsfähigkeit im Alter positiv miteinander verknüpft sind: Ältere Erwachsene mit einem großen sozialen Netz und zahlreichen sozialen Aktivitäten sind im Durchschnitt kognitiv leistungsfähiger als ältere Erwachsene mit eingeschränktem sozialen Umfeld und wenig sozialer Aktivität.

Ungeklärt war bislang die Einflussrichtung dieser korrelativen Beziehung. So könnte die positive Beziehung zwischen den beiden Bereichen allein darauf zurückgehen, dass Personen mit größeren kognitiven Leistungsvermögen stärker dazu neigen, sozial anregende Umwelten aufzusuchen. In diesem Fall würde von der sozialen Teilhabe selbst kein Einfluss auf die kognitive Alterung ausgehen.

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Am MPI für Bildungsforschung gelang nun Ulman Lindenberger und Martin Lövdén anhand von Daten der Berliner Altersstudie der empirische Nachweis, dass zumindest im höheren und hohen Alter soziale Teilhabe den alterungsbedingten Rückgang in der Mechanik der Intelligenz aufhalten kann.

Soziale Teilhabe wurde durch zwei Maße erfasst: (a) das „Yesterday-Interview", mit dem die Zeitdauer ermittelt wurde, die die Probanden am Tag zuvor in sozialen Kontexten verbracht hatten – beispielsweise Besuche machen oder empfangen – und (b) die „Aktivitätsliste", mit der die Anzahl unterschiedlicher sozialer Aktivitäten wie Restaurantbesuche, soziale Hobbies, kulturelle Veranstaltungen oder Tanzen im vergangenen Jahr erfasst wurde. Als Indikatoren der Mechanik der Intelligenz dienten zwei Tests der Wahrnehmungsgeschwindigkeit, in denen die Probanden gebeten wurden, visuelle Reize möglichst schnell miteinander zu vergleichen.

Zwei Modelle im Test

Der entscheidende Unterschied zu früheren Auswertungen vergleichbarer Datensätze bestand darin, dass die Daten an zwei miteinander vergleichbare statistische Modelle angepasst wurden, die jeweils unterschiedliche Wirkrichtungen repräsentieren. Dem ersten statistischen Modell lag die Annahme zugrunde, dass die Wahrnehmungsgeschwindigkeit zu einem gegebenen Zeitpunkt das Ausmaß an Veränderung in der sozialen Teilhabe von diesem bis zum nächsten Messpunkt vorhersagt. Ein derartiger Einfluss war nicht nachweisbar.

Das zweite Modell postulierte hingegen, dass das Ausmaß an sozialer Teilhabe zu einem gegebenen Zeitpunkt das Ausmaß an Veränderung in der Wahrnehmungsgeschwindigkeit von diesem bis zum nächsten Messpunkt vorhersagt. Eine Wirkung in dieser Richtung war nach Angaben der Bildungsforscher deutlich nachweisbar. Personen mit einem höheren Maß an sozialer Teilhabe zeigten im Laufe der acht Jahre einen geringeren Verlust an kognitiver Leistungsfähigkeit als Personen mit einem niedrigeren Ausmaß an sozialer Teilhabe.

Studie wirft neue Fragen auf

Die vorliegenden Ergebnisse unterstreichen nach Angaben der Wissenschaftler die zentrale Bedeutung sozialer Faktoren für die kognitive Leistungsfähigkeit im Alter. Zugleich werfen sie viele neue Fragen auf, da soziale Teilhabe, wie sie hier erfasst wurde, für ein sehr heterogenes Bündel von Einflüssen steht. Die Forscher vermuten vor allem, dass die Wirkung sozialer Teilhabe auf die kognitive Entwicklung am oberen und unteren Ende des Spektrums durch unterschiedliche Mechanismen vermittelt wird.

Die schützende Funktion hoher sozialer Teilhabe besteht vermutlich in ihrer stimulierenden Wirkung auf Gehirn und Verhalten. Sehr niedrige soziale Teilhabe könnte, so die Wissenschaftler, hingegen mit Stress und Depressivität assoziiert sein.

In einem nächsten Schritt müssen nun due physiologischer Mechanismen identifiziert werden, die die Wirkung der sozialen Teilhabe im einzelnen vermitteln. Dabei müssen die Veränderungen der kognitiven Leistungsfähigkeit zu anatomischen, chemischen und funktionalen Veränderungen des Gehirns in Bezug gesetzt werden.

(idw – Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, 28.03.2006 – DLO)

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