Für Millionen Menschen sind sie der Inbegriff des Rückenschmerzes: die Bandscheiben. Die Wege der Patienten führen in Fitnessstudios, auf Massagebänke und in Operationssäle. Jetzt wollen Biotechnologen Abhilfe schaffen – mit Hilfe eines Bioreaktors für Bandscheibenzellen
Die Bandscheibe absorbiert Kompressions- und Stoßkräfte, ermöglicht Bewegungen zwischen den Wirbelkörpern und vergrößert die Stabilität der Wirbelsäule. Ihre Funktionen erfüllt sie beim Menschen allerdings nicht besonders zuverlässig. Im Laufe ihres Lebens leiden 60 bis 80 Prozent aller Deutschen unter Wirbelsäulenerkrankungen.
Bewegungsmangel lässt Bandscheibe „vertrocknen“
Die Bandscheibe besteht aus einem äußeren Ring aus Knorpelfasern und dem Stoß-Absorptions-System, einem gelartigen Kern. Wie alle Bindegewebsarten enthält die Bandscheibe Zellen und eine Grundsubstanz (Matrix). Die Zellen synthetisieren ständig Matrix. Diese bindet Wasser, das die Absorptionsfunktion des Bandscheibe gewährleistet. Die Matrixsynthese wird durch Bewegung stimuliert. Bewegungsmangel des Menschen führt deshalb dazu, dass die Bandscheibe weniger Wasser binden kann, und macht sie so anfällig für Verletzungen.
Reimplanatation sorgt für Nachschub
Die meisten Bandscheibenvorfälle können heute konservativ therapiert werden. Neben der klassischen offenen Chirurgie und schonenderen Eingriffen (Endoskopie, Laserbehandlung) ist ein neues, von Prof. Peter Czermak an der FH Gießen entwickeltes Verfahren vielversprechend, das mit körpereigenen Bandscheibenimplantaten arbeitet. Vereinfacht dargestellt, werden dabei dem Patienten Bandscheibenzellen entnommen, biotechnologisch vermehrt und reimplantiert.
Die Aufgabe im laufenden Forschungsprojekt besteht einerseits darin, eine hinreichende Menge von Zellmaterial für die Reimplantation zu erzeugen. Gleichzeitig müssen die Zellen die Fähigkeit besitzen, Matrix zu synthetisieren.In einem ersten Schritt werden die Zellen, die im Projekt vom Schaf oder Schwein stammen, isoliert und in einer speziellen Kultur vermehrt. In diesem Prozess verlieren die Zellen die Fähigkeit zur Matrixsynthese, weil der stimulierende Druck fehlt.
Das Forscherteam konstruierte deshalb verschiedene Bioreaktoren, um die Zellen zur Synthese autologer Matrix anzuregen. Im Reaktor werden sie unter kontrollierten Bedingungen zyklischem Druck ausgesetzt. „Wir rufen damit im Bioreaktor den selben Effekt hervor, den der Mensch zum Beispiel durch Rückengymnastik erzielt, nämlich eine Stimulation der Zellen, die als Folge Matrix synthetisieren“, erläutert Prof. Czermak. In zwei Diplomarbeiten konnte im Rahmen des Projekts durch histologische und biochemische Untersuchungen nachgewiesen werden, dass die Matrixsynthese vom hydrostatischen Druck in den Reaktoren abhängt. Im Vergleich mit Alternativkulturen erreichte die Forschergruppe im Reaktor einen um bis zu 268 Prozent höheren Anteil an neu synthetisierter Matrix.
„Mit neuen biokompatiblen Trägermaterialien und unterschiedlichen Druckprofilen wollen wir die Ergebnisse weiter verbessern. Die Rückengymnastik im Bioreaktor funktioniert, nun müssen wir die Trainingsbedingungen und die Trainingsdosis optimieren“, fasst Czermak als Zwischenergebnis zusammen.
(Fachhochschule Gießen-Friedberg, 05.03.2004 – NPO)