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Methanfresser leben in „Zeitlupe“

Neue Erkenntnisse über urtümliche Einzeller im Meeresboden

Gasmasken sind Pflicht während die Kerne geöffnet werden: Mikroben im Meeresboden verwandeln Sulfat in giftigen Schwefelwasserstoff, wenn sie organisches Material abbauen. © Heribert Cypionka, ICBM Oldenburg

Geringe Nährstoffkonzentrationen, extrem niedriger Stoffwechsel und ungewöhnliche Stoffwechselwege sorgen dafür, dass urtümliche Einzeller tief im Meeresboden möglicherweise bis zu 2.000 Jahre alt werden. Dies hat jetzt ein deutsch-amerikanisches Team von Geochemikern und Mikrobiologen im Rahmen des Ozean Bohr Programms (ODP) herausgefunden.

Wie die Forscher um Professor Kai-Uwe Hinrichs vom DFG-Forschungszentrum Ozeanränder (RCOM) in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)berichten, kamen sie mithilfe neuer Analysemethoden den bislang nicht erforschten Archaeen auf die Spur, Dabei gewannen sie Erkenntnisse über ihre Lebensweise und Rolle in der tiefen Biosphäre.

„Erst seit relativ kurzer Zeit ist bekannt, dass tief unter dem Meeresboden im Sediment ein uns völlig unbekanntes Ökosystem existiert – die so genannte tiefe Biosphäre. Die dort lebenden Bakterien und Archaeen machen etwa ein Zehntel der lebenden Biomasse auf der Erde aus. „Archaeen sind einzellige Lebewesen, die mit Bakterien etwa so eng verwandt sind, wie Bakterien mit uns. Sie bilden die dritte große Domäne des Lebens, neben Bakterien und Eukaryonten – zu letzteren zählen Pflanzen und Tiere“, erläutert Doktorand Julius Lipp vom RCOM. Er teilt sich die Erstautorenschaft der Studie mit Jennifer F. Biddle, Doktorandin an der Pennsylvania State University.

„Wir kannten Archaeen bisher hauptsächlich von lebensfeindlichen Orten: heiße Quellen in der Tiefsee und an Land, extrem salzige Lösungen, Erdöllagerstätten und eben unter enormem Druck unter fast nährstofflosen Bedingungen tief im Meeresboden“, so Studienleiter Hinrichs. „Die Organismen dort unten scheinen wichtige, uns vertraute Prozesse auf völlig andere Art und Weise auszuführen, wie zum Beispiel den Umsatz von Methan.“

Gerade dieser Prozess ist höchst interessant: Tief im Meeresboden produzieren Archaeen riesige Mengen Methan. Einen großen Teil bauen andere Archaeen wieder zu Kohlendioxid ab. Da Kohlendioxid als Treibhausgas 25-mal weniger wirksamer ist, als Methan, dämpft dies ihren Einfluss auf das Klima. Die Wissenschaftler untersuchten gezielt Schichten, in denen die Archaeen unter sauerstofffreien Bedingungen Methan zu Kohlendioxid zersetzen.

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Neue Arten von Methanoxidierern entdeckt

„Bisher kannten wir solche anaeroben Methanoxidierer nur aus Gebieten, wo relativ viel Methan vorkommt. Doch die Methankonzentrationen in den teilweise 90 Meter tiefen Sedimentschichten sind vergleichsweise gering“, so Hinrichs. „Genetische Vergleiche zeigten, dass es sich um neue Arten von Methanoxidierern handelt. Außerdem ist der Stoffumsatz des Ökosystems so niedrig, dass sich die Zellen theoretisch nur alle 100 bis 2.000 Jahre teilen.“

Was die Wissenschaftler fanden, hat sie fasziniert. „Unsere Untersuchungen vor der peruanischen Küste deuten darauf hin, dass zwar ein Großteil der Energie für das Ökosystem aus dem Abbau von Methan zu Kohlendioxid stammt. Aber der Kohlenstoff, den die Archaeen in ihre körpereigenen Verbindungen einbauen, stammt aus fossilem, organischen Material und nicht aus Methan“, erläutert Hinrichs. „Das ist anders, als in bisher bekannten Systemen.“

Archaeen beeinflussen Treibhauseffekt

Herausgefunden haben sie all dies mit einer neuen Kombination von Methoden, die Hinrichs zusammen mit seinem Kollegen von der Pennsylvania State University Professor House und anderen ausgeklügelt hat. Über die Analyse der Kohlenstoffisotope 12C und 13C in den Zellen der Archaeen konnten sie feststellen, welche Substanz die Organismen eingebaut haben.

Dazu kam ein spezieller genetischer Fingerabdruck, den die Gruppe von Professor Andreas Teske von der University of North Carolina, Chapel Hill, zum ersten Mal von diesem Lebensraum erhielt, sowie die Analyse artspezifischer, fettartiger Verbindungen. Zusammen zeigten diese Techniken den Wissenschaftlern welche und wie viele Mikroorganismen nicht nur vorhanden, sondern auch lebendig waren. „Analysiert man einfach alles vorhandene genetische Material, weiß man nicht, wann diese Organismen gelebt haben. In einem Ökosystem, das so langsam Stoffe abbaut, kann es sich leicht um längst abgestorbenes, altes Material handeln.“

Dieser Lebensraum im tiefen Ozeanboden ist uns heute noch weitgehend fremd: „Wir wissen weniger über ihn, als über manchen Himmelskörper. Neben der DFG und anderen Programmen, förderte die NASA Teile der Forschung – nicht zuletzt weil unsere Techniken auch für die Suche nach Leben auf anderen Planeten geeignet sind“, sagt Hinrichs.

Obwohl diese Vorgänge tief unter dem Meeresboden ablaufen, haben sie Einfluss auf unsere Umwelt. „Auch wenn die Prozesse extrem langsam sind: Da sie an allen Kontinentalhängen über riesige Flächen stattfinden, setzen die Archaeen riesige Mengen Methan zu Kohlendioxid um. So haben sie einen großen Einfluss auf den Treibhauseffekt“, betont Hinrichs.

(idw – Forschungszentrum Ozeanränder, 23.02.2006 – Kirsten Achenbach)

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