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Medizin

Falsche Lorbeeren für Bluthochdruckforscher

Innsbrucker Forscher deckt medizinhistorischen Irrtum auf

Ein experimentelles Verfahren zur Erzeugung von Bluthochdruck ist eines der meistzitierten wissenschaftlichen Beiträge der Medizingeschichte. Die 1934 gewonnenen Erkenntnisse legten den Grundstein für die noch heute angewendeten Therapien bei Bluthochdruck und Herzinsuffizienz. Jetzt hat ein Mediziner aufgedeckt, dass dieses Verfahren schon sehr viel früher entdeckt und auch veröffentlicht worden war – aber diese Leistung bis heute von der wissenschaftlichen Gemeinschaft nicht wahrgenommen wird.

Im Jahr 1934 veröffentlichte der Amerikaner Harry Goldblatt (1891 – 1977) gemeinsam mit Kollegen einen wissenschaftlichen Beitrag in der angesehenen Zeitschrift „Journal of Experimental Medicine“. Darin wurde über ein Verfahren zur künstlichen Erzeugung von Bluthochdruck durch das Verengen der Nierenarterien berichtet. „Dieser Artikel zählt zu den meistzitierten Beiträgen in der Medizingeschichte, und war Auslöser einen ganzen Lawine von Forschungsarbeiten über den Bluthochdruck“, erklärt der Innsbrucker Mediziner Dr. Bernhard Glodny. „Goldblatts Name ist bis heute mit diesen Entwicklungen aufs engste verbunden.“

Anerkennung blieb versagt

Einem anderen Wissenschaftler blieb dieser Erfolg allerdings versagt, obwohl er schon ein Jahr vor Goldblatt die gleichen Ergebnisse in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlichte. Johann Lösch (geb. 1897) studierte an der Deutschen Universität Prag und emigrierte 1924 in die USA. In New York nahm er seine Forschungen zum Bluthochdruck auf und veröffentlichte schon 1927 erste Ergebnisse dazu. 1933 erschien dann der Beitrag im Zentralblatt für Innere Medizin, in dem Lösch demonstrierte, wie sich durch die Drosselung der Blutzufuhr in den Nierenarterien bei Hunden ein künstlicher Bluthochdruck erzeugen lässt.

Damit stand erstmals ein stabiles Modell für die Hochdruckforschung zur Verfügung. Auch stützte das Experiment die Vermutung, dass die Funktion der Niere ursächlich mit dem Bluthochdruck zusammenhängt. Dies führte zur raschen Aufklärung des Hormons Renin, das in der Niere produziert wird, und eine Folge von Prozessen im Körper auslöst, die schließlich den Blutdruck regulieren.

Doch die wissenschaftliche Anerkennung für seine Arbeiten blieb Johann Lösch versagt. Er wurde nicht berühmt, und versank im Dunkeln der Geschichte, während Goldblatt eine glänzende akademische Karriere machte. „Über die Ursachen dafür kann man nur spekulieren“, sagt Glodny, der drei mögliche Gründe nennt: „Erstens hat Lösch seine Arbeit auf Deutsch publiziert, was damals aber noch durchaus verbreitet war. Zweitens arbeitete er in einem finanziell instabilen Umfeld. Und drittens verließ Lösch nach der Veröffentlichung seines Beitrags das Feld der Bluthochdruckforschung.“ All dies mag in Summe dazu geführt haben, dass seine Arbeit in der wissenschaftlichen Welt nicht wahrgenommen wurde, obwohl sie die wegweisenden Entdeckungen Goldblatts bereits vorwegnahm. Für Glodny aber ist klar: „Beide Forscher sollten für ihren Beitrag zur Erforschung des Bluthochdrucks gleichermaßen gewürdigt werden.“

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Vom Zufall geleitet

Der Zufall führte Dr. Bernhard Glodny auf die Spur dieser medizinhistorischen Sensation. In seiner Familie trat ein Fall von Bluthochdruck auf, für den die Ärzte keine Erklärung fanden. Glodny setzte sich mehrere Monate in die Kellermagazine der Universitätsbibliothek Münster, wo er damals Medizin studierte und später seine eigenen Forschungen begann. Er durchforstete die komplette wissenschaftliche Literatur zum Thema Bluthochdruck. Dabei stieß er auf den Beitrag von Johann Lösch im Zentralblatt für Innere Medizin. „Es war für mich sofort offensichtlich, dass sich die Arbeit mit jenem berühmten Beitrag von Harry Goldblatt weitgehend deckt.“

In mühsamer Kleinarbeit erforschte Bernhard Glodny gemeinsam mit seiner Mutter den wissenschaftlichen Werdegang der beiden Forscher, akribisch verglich er deren Hypothesen, Methoden, Ergebnisse und Schlussfolgerungen. „Das Ergebnis war eindeutig: Lösch hatte nicht nur fast die gleichen Experimente wie Goldblatt durchgeführt, seine Schlussfolgerungen waren sogar weiterreichend als die seines Kollegen“, betont Dr. Glodny, der seine Erkenntnisse zu diesem Fall in der aktuellen Ausgabe der renommierten Zeitschrift „Annals of Internal Medicine“ präsentiert.

„In unserem Fall gab es eine Erklärung für die Erkrankung“, so Dr. Glodny, „und sie konnte daher durch einen einfachen Eingriff geheilt werden. Aber leider ist es bis heute trotz der bahnbrechenden Erkenntnisse von Johann Lösch und Harry Goldblatt in vielen Fällen nicht möglich, die Heilung herbeizuführen. Dann ist eine meist lebenslange Medikamenteneinnahme notwendig, denn der Bluthochdruck, die häufigste Erkrankung in der westlichen Welt, ist einer der gefährlichsten Risikofaktoren für Schlaganfall und Herzinfarkt. Auf diesem Gebiet gibt es noch sehr viel zu tun“, so Dr. Glodny, der sich dieser wissenschaftlichen Arbeit heute an der von Prof. Werner Jaschke geleiteten Universitätsklinik für Radiodiagnostik widmet.

Wettlauf um Forschungserfolge

Der wissenschaftliche Wettlauf hat sich seit den 30-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts weiter verschärft. Die globale Vernetzung der Forschergemeinschaft erhöht den zeitlichen Druck für die Veröffentlichung neuer Forschungsergebnisse deutlich. Heute entscheiden oft wenige Tage und Wochen darüber, wem ein neuer wissenschaftlicher Erfolg zugeschrieben wird. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass immer öfter Skandale um wissenschaftliche Fälschungen und Fehlverhalten in der Wissenschaft publik werden.

Seit den Tagen von Goldblatt und Lösch hat sich freilich am grundlegenden Prinzip des wissenschaftlichen Publizierens wenig geändert. Erfolg stellt sich nur bei jenen ein, die auch eine entsprechende Sichtbarkeit in der Forschungsgemeinschaft erreichen.

(Universität Innsbruck, 22.02.2006 – NPO)

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