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Medizin

Neue „Doppelspitze“ im Kampf gegen Krebs

Medikament bekämpft zwei Tumorarten gleichzeitig

Das erste Medikament, das gleichzeitig gegen zwei Krebsarten hilft, ist jetzt in den USA von der Food and Drug Administration (FDA) zugelassen worden. Es kommt bei der Behandlung sowohl von fortgeschrittenem Nierenkrebs und bei einer seltenen Form von Magen- und Darmkrebs nach Versagen oder Unverträglichkeit der Standardtherapie zum Einsatz. Auch in Deutschland soll das Mittel noch in diesem Jahr auf den Markt kommen.

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SUTENT®, so der Name des Medikaments, beruht auf Forschungsarbeiten von Max-Planck-Wissenschaftlern: Der Krebsforscher Professor Axel Ullrich, Direktor am Max-Planck-Institut (MPI) für Biochemie in Martinsried, konnte bereits zu Beginn der 1990er-Jahre mit seinen Kollegen nachweisen, dass sich das Wachstum von experimentellen Tumoren verlangsamt und Tumorgewebe schrumpft, wenn man das den Tumor umgebende Blutgefäßsystem und damit seine Versorgung mit Nährstoffen und Sauerstoff hemmt. Auf diesem Grundprinzip aufbauend entstand das jetzt in Amerika neu zugelassene Therapeutikum SUTENT®, das auf dem Wirkstoff Sunitinib beruht.

Der Max-Planck-Forscher Axel Ullrich ist über die schnelle Zulassung des Medikaments hoch erfreut: „Bereits im Vorfeld der Zulassung können durch das beschleunigte Verfahren der FDA bereits mehr als 1.700 Patienten mit dem neuen Präparat behandelt werden. Wir sind natürlich sehr froh darüber, dass unsere Forschungsergebnisse so schnell zu einer Anwendung in der Krebstherapie geführt haben. Jährlich erkranken in Deutschland 390.000 Menschen an Krebs. Jeder vierte Todesfall ist tumorbedingt. Durch die Behandlung mit ganz spezifischen Präparaten, die zielgerichtet bestimmte Eigenschaften von Tumorzellen angreifen, können Lebenserwartung und Lebensqualität von Patienten deutlich verbessert werden. Die Therapie mit multispezifischen Wirkstoffen, die die Signalübertragungs-Ketten bei Tumorzellen hemmen, stellt einen neuen Meilenstein in der Krebstherapie dar, weil sie in vielfältiger Weise kritische Krebszell-Funktionen angreifen und von den Patienten gut vertragen werden können.“

Tyrosinkinasen im Mittelpunkt der Rezeptorforschung

Zellen können durch Wachstumsfaktoren, die an spezifische Rezeptoren an der Zelloberfläche binden, dazu veranlasst werden, sich zu vermehren und bestimmte Gewebe wie etwa Blutgefäße zu bilden. Eine ganz besondere Proteinklasse, die Tyrosinkinasen, stehen dabei im Zentrum der Rezeptorforschung. Sie sorgen dafür, dass das aufgenommene Signal über eine lange Signalkaskade in den Zellkern weitergeleitet wird und dort die Zellteilung und Vermehrung der Zelle in Gang setzt.

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Bei Krebserkrankungen sind häufig diese Signalkaskaden in den Tumorzellen gestört und deshalb Gegenstand der Krebsforschung. Gelingt es etwa, die Rezeptoren auf der Zelloberfläche von Tumorzellen oder die Wachstumsfaktoren zu blockieren, so können daraus zielgerichtete Therapeutika gegen Krebserkrankungen entwickelt werden. Dem Martinsrieder Krebsforscher Axel Ullrich war es bereits in den 1980er-Jahren gelungen, mit Kollegen aus den USA und Israel die Struktur und Funktion eines Rezeptors für den Wachstumsfaktor EGF (epidermal growth factor) aufzuklären. Seither stehen Tyrosinkinasen und verschiedene Wachstumsfaktoren im Zentrum der Erforschung und Entwicklung von Tumortherapeutika.

Bereits vor mehr als zehn Jahren hatten Wissenschaftler um Axel Ullrich erkannt, dass man die Krebsentwicklung auch hemmen könnte, in dem die Versorgung von Tumor-Zellen mit Sauerstoff und Nährstoffen unterbrochen wird. Die Max-Planck-Wissenschaftler hatten nachgewiesen, dass kleine, nur wenige Millimeter große Tumorgewebe den Wachstumsfaktor VEGF (vascular endothelial growth factor) bilden, der bei bestimmten Zellen die Bildung von Blutgefäßen auslöst.

Durchbruch im Tiermodell

Im Tiermodell gelang dann Axel Ullrich mit seinen Kollegen Birgit Millauer und Werner Risau der entscheidende Nachweis: Wird der für den Wachstumsfaktor VEGF spezifische Rezeptor Flk-1/VEGFR2 ausgeschaltet, der nur in Endothelzellen vorhanden ist, die neue Blutgefäße bilden, so führt das zur Hemmung der Bildung von Tumoren. Werden keine Blutgefäße um das Tumorgewebe gebildet beziehungsweise vorhandene blockiert, so wächst der Tumor nicht mehr weiter. Diese Entdeckung war der Beginn für die Entwicklung so genannter Angiogenese-Hemmer (Angiogenese = Neubildung von Blutgefäßen).

1991 hatte Ullrich – gemeinsam mit der New York University – die Firma SUGEN Inc. in Kalifornien gegründet. SUGEN Inc. entwickelte dann jene chemischen Substanzen, die den Rezeptor Flk-1/VEGFR2 auf Endothelzellen blockieren. Da die SUGEN Inc. Das jetzt auf den Markt gebrachte SUTENT® mit dem Wirkstoff Sunitinib ist ein multi-spezifischer Tyrosinkinase-Hemmer, der nicht nur die Bildung von Blutgefäßen in Tumoren, sondern noch weitere krankheitsrelevante Enzyme im Signalnetzwerk der Tumorzellen hemmt.

Die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Sunitinib wurde in vielen Studien untersucht, an denen Patienten mit GIST, einer seltenen Form von Magen- und Darmkrebs, beteiligt waren, bei denen nach Behandlung mit dem Medikament Imatinib eine Tumorprogression auftrat, bzw. die Imatinib nicht vertrugen, sowie Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom, bei denen die Behandlung mit Zytokinen fehlschlug. Bei Patienten mit GIST konnte gezeigt werden, dass die Zeit bis zum erneuten Wachstum der Tumoren unter Behandlung mit Sunitinib vier Mal so lang war wie bei der Kontrollgruppe. Bei Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom demonstrierten die Studien eine Reduktion der Tumorgröße. Bei 26 bis 37 Prozent der Patienten mit Nierenzellkarzinom schrumpfte der Tumor um mehr als die Hälfte.

Weitere klinische Prüfungen von Sunitinib laufen derzeit auch mit Patienten, die an fortgeschrittenen Formen von Blasenkrebs, Brustkrebs, Gebärmutterhalskrebs (Cervixkarzinom), Dickdarmkrebs, Speiseröhrenkrebs, Kopf- und Nacken-Tumoren, Leberkrebs, Lungenkrebs, Melanom, Eierstockkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs, Prostatakrebs und Hodenkrebs leiden.

(MPG, 10.02.2006 – DLO)

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