Eis ist ein wertvolles Archiv: In ihm – und vor allem in der in ihm konservierten Luft verbergen sich wichtige Hinweise auf vergangene Ereignisse. Doch wie kommt die Luft ins Eis? Und in welcher Form bleibt sie dort gespeichert? Das untersuchen derzeit Forscher in der Antarktis. Die Erkenntnisse sollen helfen, aus uralten Eisbohrkernen noch mehr klimarelevante Daten zu gewinnen.
Eis-Bohrkerne enthalten Luft, die wie die Atmospäre zu der Zeit zusammengesetzt ist, als Schnee zu Firn und schließlich in 80 bis 100 Metern Tiefe zu Eis verdichtet wurde. Erst Eis schließt so dicht ab, dass kaum Gasaustausch mit der Atmosphäre stattfindet. Daher kann der eisige Käfig bis zu tausend Jahre älter sein als die Luft darin.
Transport unmöglich
Bislang untersuchten die Forscher die Strukturen ihrer Schnee- und Eisproben vor Ort anhand dünner Schnitte unter dem Mikroskop, genauere Untersuchungen vor Ort wären nur durch Transport in ein Labor möglich gewesen. Doch ein Schneeball mag den Sommerschlaf im Gefrierfach unbeschadet überstehen; Schneeproben ohne Veränderungen ins Labor zu bringen, ist eine ganz andere Herausforderung.
„Im Grunde ist der Transport von Schnee fast aussichtslos“, weiß Johannes Freitag vom Alfred-Wegener- Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. „Vorausgesetzt natürlich, man ist wie wir an feinsten Strukturdetails interessiert.“ Abgesehen davon, dass Schnee schon auf kleinste Temperaturschwankungen reagiert, wären die mechanischen Belastungen durch den Transport einfach zu groß.
Erstmals Mikrostrukturanalyse vor Ort
Deshalb hat Freitag sein Labor zum Schnee gebracht – zur antarktischen Station Kohnen, die über 500 Kilometer landeinwärts von der küstennahen Neumayer-Station entfernt liegt. Mit 27 Kollegen arbeitet er dort am „European Project for Ice Coring in Antarctica“ (EPICA), das dem Eis immer ältere und genauere Klimadaten entlocken will. Dafür bohren die Forscher kilometertief in den Eispanzer des Kontinents.
Auf ihrer aktuellen Expedition haben sie erstmals zwei Mikro- Computertomographen im Gepäck, die viel genauere Daten liefern. Bei der Auswertung der 3-D-Röntgenaufnahmen hilft MAVI, ein modulares Softwaresystem des Fraunhofer-Instituts für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM. Üblicherweise erfasst und quantifiziert es geometrische Parameter von Mikrostrukturen – also etwa Schäume, Faserverbundwerkstoffe, Textilien oder Beton und andere Baustoffe – jetzt soll es einen Einblick in die Struktur des Schnees liefern.
Schnee als Schaum
„Strukturell betrachtet ist Schnee ein offenporiger Schaum“, sagt Katja Schladitz von der Abteilung Modelle und Algorithmen in der Bildverarbeitung. „Dafür haben wir ein eigenes MAVI-Modul programmiert.“ In der Antarktis ermitteln die Forscher mit MAVI neben strukturellen Parametern vor allem Kennzahlen, die den Zusammenhalt der Poren und deren Übergang vom offenen in den geschlossenen Zustand beschreiben. Verrechnet werden müssen sie mit Werten für den Stofftransport der verschiedenen Gase, die in der Luft vorkommen. Bis ein Modell vorliegt, das die Metamorphose des Schnees ausreichend genau vorhersagt, sind allerdings noch mehrere Kampagnen nötig.
(Fraunhofer-Gesellschaft, 27.01.2006 – NPO)