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Materialforschung

Riss ist nicht gleich Riss

Langsam oder schneller reißen macht den Unterschied

Auftreten von dynamischer Instabilität an der Rissspitze © M. Buehler/Massachusetts Institute of Technology

Bisher galt, dass ein Materialriss einzig und allein von der Kraft bestimmt wird, die an ihm herum zerrt: Ein klarer linearer Zusammenhang. Doch mit dem Material bröckelt auch die Theorie. Ein internationales Wissenschaftler-Team hat jetzt erstmals eine Erklärung für unterschiedliche Rissformen bei verschiedenen Materialien vorgestellt und begründet, warum auch noch die Schnelligkeit jeden linearen Bezug ins wanken bringt.

Seit Jahrzehnten versuchen Forscher die Ausbreitung von Rissen in Materialien zu erklären. Wenn Materialien reißen, trennen sich Atome und es entstehen neue Oberflächen an den Risskanten. Beim langsamen Reißen wird die atomare Oberfläche spiegelglatt, während bei schnelleren Rissen die Oberflächen immer unregelmäßiger werden, bis der Riss sich schließlich verzweigt. Dieses Verhalten – dynamische Bruchinstabilität genannt – lässt sich bei vielen spröden Materialien beobachten, wie Metallen, Polymeren oder Halbleitern.

Die bisher geringen Belastungen bei den Experimenten, führten zu einem einfachen, linearen Zusammenhang zwischen Zugspannung und Materialbeanspruchung. Der war zwar leicht zu berechnen, erwies sich dann aber besonders bei den starken Verformungen an der Spitze eines Risses als falsch. Aufgrund der großen Spannungen auf engstem Raum nehmen dort die quantenmechanischen und atomaren Eigenschaften der Materialien einen stärkeren Einfluss auf den Riss, als bisher angenommen. Sie erzeugen damit die „nicht-lineare Elastizität“ verändern sogar die Ausbreitung des Risses.

Seit einigen Jahren ist bereits klar, dass man bei der Entstehung solcher Phänomene die Atome in die Erklärung einbeziehen muss – doch es blieb ein Rätsel, wie. Welche Physik spielt dabei im Detail eine Rolle? Wie kann man die Geschwindigkeit der Rissausbreitung berechnen? Die existierenden Modelle waren nicht Realitätsnah und einige Computersimulationen widersprachen sich sogar.

Nun hat ein Team um Markus Buehler und Huajian Gao auf der Basis von Computerexperimenten ein Modell entwickelt, dass die Ausbreitung der Risse erfolgreich beschreiben kann – und zwar für eine Vielzahl spröder Materialien. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass bei der dynamischen Bruchinstabilität mehrere Prozesse zusammenspielen, die alle zusammen vom Energiefluss und dem Spannungsfeld in der direkten Umgebung der Rissspitze gesteuert werden. Anders, als man bisher dachte, hat die Bruchinstabilität aber nichts mit etwaigen vorher vorhandenen Defekten in den Materialien zu tun, sondern tritt auch in absolut fehlerfreien Materialien auf.

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„Wir haben entdeckt, dass sich die Ungereimtheiten der bisherigen Erklärungen lösen lassen, wenn man das Verhalten des Materials beim Aufbrechen der atomaren Bindungen betrachtet – anstatt nur Materialeigenschaften unter kleinen Zugbelastungen einzubeziehen“, sagt Markus Buehler. „In Spezialfällen geht unsere neue Theorie zwar in die bestehende Modelle über. Aber sie erlaubt eine einheitliche Behandlung des Instabilitätsproblems bei einer viel größeren Klasse von Materialien.“

In das Modell lassen sich auch ungewöhnliche Änderungen der Elastizität an der Spitze des Risses integrieren. So verändert sich zum Beispiel bei bestimmten Materialien die Elastizität mit der Deformation – Gummi etwa ist weich, wenn man ihn wenig dehnt, bei starker Dehnung dagegen wird er hart. Daher wird die Deformationsenergie, die beim Reißen auftritt, je nach Verformung unterschiedlich stark geschluckt. Die neue Theorie zeigt: In solchen Materialien können sich Risse schneller als der Schall ausbreiten. Dies steht im Widerspruch zu allen gängigen Theorien, ist aber im Einklang mit den neu entwickelten Konzepten. Überschallrisse wurden kürzlich bereits in einem anderen Experiment entdeckt – die neue Theorie könnte sogar dafür eine Erklärung bieten.

(MPG, 23.01.2006 – DGO)

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