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Astronomie

Aluminium-Isotop „verrät“ Supernova-Häufigkeit

Astronomen gelingt radioaktiver Schnappschuss vom Innern der Milchstraße

Radioaktiver Zerfall von instabilen Isotopen führt zur Aussendung von Gammastrahlen, deren Energie (= Farbe) von den Eigenschaften des Atomkerns diktiert ist. Solche Gammastrahlung wird mit dem ESA-Satelliten INTEGRAL seit Oktober 2002 gemessen. Radioaktive Isotope sind Nebenprodukte von kosmischen Kernfusionsprozessen, die im Innern massiver Sterne und in Supernova-Explosionen neue Atomkerne erzeugen. Im Licht des Isotops 26Al von Aluminium, das im Mittel nach etwa einer Million Jahre zu Magnesium zerfällt, sieht man in der Milchstraße jene Regionen leuchten, in denen solche Atomkerne produziert werden. Im sichtbaren Licht hingegen sieht man wegen der interstellaren Staubwolken nur nahe Sterne, das Band der Milchstrasse jedoch ist weniger deutlich sichtbar, da sich der helle innere Teil unserer Sicht entzieht. © MPI für extraterrestrische Physik

Supernova-Explosionen sind eine wichtige Triebkraft für die Entstehung neuer Galaxien im Universum. Doch wie oft diese Sternen-Explosionen stattfinden, konnte bisher nur indirekt geschätzt werden. Ein internationales Astronomenteam hat jetzt mit dem ESA-Satelliten INTEGRAL die von radioaktivem Aluminium 26Al ausgehende Strahlung gemessen und daraus auf die Supernova-Häufigkeit in der Milchstraße geschlossen. Die Analysen zeigen aber auch, dass die Bildung neuer Atomkerne galaxienweit in Sternentstehungsgebieten stattfindet.

Die Forscher um Roland Diehl vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching schätzen, dass es derzeit allein von dem sehr seltenen radioaktiven Isotop 26Al in der Milchstraße etwa das Dreifache der Sonnenmasse gibt. Um eine solche Menge dieses Isotops zu erzeugen, so die Astronomen im Wissenschaftsmagazin Nature, müssen sich in unserer Galaxie im Durchschnitt zwei Supernova-Explosionen pro Jahrhundert ereignet haben.

Astrophysiker nutzen die Tatsache, dass radioaktive Isotope bei ihrem Zerfall durchdringende Gammastrahlen aussenden, die dann mit Satellitenteleskopen messbare Botschaften von kosmischen Kernfusionsreaktionen überbringen. So kündet die im Jahre 1978 entdeckte kosmische Gammastrahlung des Aluminium-Isotops 26Al mit einer Halbwertszeit von etwa 720.000 Jahren davon, dass in dieser „Fast“-Gegenwart“ neue Atomkerne erzeugt werden. Die Supernova 1987A brachte dann den direkten Beweis, als man erstmalig Gammalinien kurzlebiger Radioaktivität gemessen hat, die nur in dieser Supernova in unserer nahen Nachbargalaxie LMC entstanden sein konnte.

Synthese des 26Al-Isotops mit der Entwicklung des Sonnensystems verbunden?

Aus vorhergehenden Untersuchungen hatten Astrophysiker in den 1990er-Jahren gemeinsam mit Geophysikern und Mineralogen geschlossen, dass die Radioaktivität dieses Aluminium-Isotops eine ganz besondere Rolle bei der Entwicklung der Planeten des Sonnensystems gespielt haben muss: Die radioaktive Energie verhalf dem kometenartigen Material durch seine materialaufschmelzende Wärme zur Bildung von Gestein.

Deshalb war in den 1980er-Jahren die Vermutung verbreitet, dass die Synthese des 26Al-Isotops auf besondere Weise mit der Entwicklung des Sonnensystems verbunden sein musste. Es gab also auf der einen Seite ein Gammasignal von 26Al aus der Galaxie, das die Entstehung von 26Al innerhalb der letzten Jahrmillionen widerspiegelt, und auf der anderen Seite Spuren von bedeutenden Mengen des 26Al-Isotops aus den Anfängen des Sonnensystems vor etwa 4,5 Milliarden Jahren.

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Diese unterschiedlichen Befunde führten zu der Vermutung, dass 26Al tatsächlich ein Nebenprodukt aktueller kosmischer Nukleosynthese-Prozesse sein könnte, die nach den gängigen Theorien der 1950er-Jahre in Sternen, Nova- und Supernova-Explosionen ablaufen sollten. Im frühen Sonnensystem vermutete man spezielle Bedingungen für eine besondere Anreicherung von 26Al, mit weitreichenden Konsequenzen für unsere irdische Umgebung.

Bis heute ist unklar, ob eher eine ganz in der Nähe befindliche Nukleosynthese-Quelle uns einen Extra-Bonus verschafft hat, oder ob bei der Bildung der Sonne hochenergetische Teilchenströme die metallischen Bestandteile des frühen Sonnennebels mit 26Al anreichern konnten. Während also die Gammastrahlung vom Zusammenwirken zahlreicher kosmischer Nukleosynthese-Ereignisse in weiten Bereichen der Galaxie kündet, blieb die Frage unbeantwortet, welche Beträge dazu von speziellen Orten oder Gebieten der Galaxie kommen und wie viel von dem 26Al-Isotop unsere Galaxie insgesamt enthält?

Gamma-Spektroskopie mit dem INTEGRAL Satellitenobservatorium

Eine Antwort darauf ermöglicht nun die neuartige Beobachtungstechnik, die mit dem ESA-Satelliten INTEGRAL zur Verfügung steht. Auf INTEGRAL befindet sich ein Spektrometer, das die Energie der Gammastrahlung von 26Al mit bisher unerreichter Präzision messen kann.

Roland Diehl und seine Kollegen haben nun entlang der Ebene der Milchstraße eine solche Energiemessung vorgenommen, und nach Variationen gesucht, die auf den Ursprungsort der Gammastrahlung hinweisen. Unsere Galaxie rotiert um ihren Zentralbereich, allerdings nicht starr wie etwa ein Rad um seine Achse: Vielmehr müssen innere Bereiche der Galaxie schneller umlaufen als außenliegende, um nicht durch das galaktische Schwerefeld ins Zentrum zu stürzen. Daher sieht man beim Blick ins Innere der Galaxie Teilbereiche, die sich scheinbar relativ schnell von der Sonne weg bzw. auf sie zu bewegen.

Die Linienverschiebungen aus dem Doppler-Effekt, wie sie sich aus Modellvorstellungen über die Verteilung von 26Al-Quellregionen und der galaktischen Rotation ergeben (Farbe), stimmen mit den INTEGRAL-Messungen (Kreuz-Markierungen) überein. © MPI für extraterrestrische Physik

Über den Doppler-Effekt führt diese Relativbewegung zu einer Farb-, also Energie-Verschiebung der Gammalinie radioaktiven 26Al. Die von der Kernphysik sehr präzise vorgegebene Gammalinien-Energie von 1808.65 Kiloelektronenvolt wird also durch Doppler-Verschiebung charakteristisch verändert, wenn sich die Quellen der Gammastrahlung in diesen inneren Bereichen der rotierenden Galaxie befinden. Genau ein solches Signal haben die Garchinger Forscher in ihren INTEGRAL-Daten erkannt.

Dies zeigt, dass die Gammastrahlung vom radioaktiven Zerfall des 26Al-Isotops uns tatsächlich aus den Zentralbereichen der Galaxie erreicht, und nicht etwa aus davor liegenden Regionen speziell erhöhter 26Al-Produktion – denn diese würden nicht so schnelle Relativbewegungen zur Sonnenumgebung zeigen. Daraus schlussfolgern die Forscher: Wenn uns die 26Al-Gammastrahlen offenbar aus dem Galaxieninnern erreichen, dann können wir die gemessene Intensität über unser geometrisches Verständnis der Milchstraßenform den jeweiligen Quell-Entfernungen zuordnen und so die Gesamtmenge an radioaktivem 26Al abschätzen, die unsere Galaxie enthält.

Zwei Supernova-Explosionen nötig

Die Garchinger Forscher schätzen diese auf eine Menge, etwa drei Mal so groß wie die Masse der Sonne – und dies von einem Isotop, das eine extrem seltene Beimischung ist. So betrug der Anfangsanteil in der sich bildenden Sonne 5/100000, im Verhältnis zum normalen, stabilen Isotop des Aluminium (27Al). Da Theoretiker aufgrund der Himmelskarte der 26Al-Emission schon geschlossen hatten, dass galaxienweit nur die sehr massereichen Sterne wesentlich zur 26Al-Produktion beitragen, die dann auch als Supernova explodieren, können die Garchinger Forscher damit auch die Anzahl der Supernovae bestimmen, die einer solchen galaktischen Menge von 26Al entsprechen: Etwa zwei solcher Supernova-Explosionen massereicher Sterne müssten sich pro Jahrhundert im Mittel in der Galaxie ereignen, um die beobachtete 26Al-Radioaktivität aufrecht zu erhalten.

Diese Zahl stimmt wiederum recht gut mit aus der Beobachtung anderer Galaxien abgeschätzten Rate überein. Daher bestätigen die Gammalinien-Messungen der Garchinger Forscher sowohl die indirekten Schätzungen der Supernova-Häufigkeit als auch die Produktion von 26Alin massereichen Sterne und Supernova-Explosionen.

Das INTEGRAL-Gammaspektrometer wird noch einige Jahre seinen Betrieb fortsetzen. Damit hoffen die Forscher ihre Messung noch präzisieren zu können. „Diese Gammastrahlen-Messungen ermöglichen Befunde über unsere Heimatgalaxie, die man im optischen Bereich wegen der interstellaren Gaswolken nur sehr mühsam gewinnen könnte“, betont Projektleiter Roland Diehl.

(MPG, 05.01.2006 – DLO)

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