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Neurobiologie

„Kuschelhormon“ dämpft die Angst

Botenstoff Oxytocin hemmt Angstzentrum im menschlichen Gehirn

Zwischen Angst und Vertrauen... © IMSI MasterClips

Das „Kuschelhormon“ Oxytocin stärkt nicht nur die Bindung zwischen sich nahe stehenden Menschen, es wirkt auch gegen Angst, wie jetzt Wissenschaftler herausgefunden haben. Der Botenstoff reduziert die Aktivität einer „Angstzentrale“ im Mandelkern des Gehirns und hemmt Reizverbindungen dorthin.

Es ist seit längerem bekannt, dass Oxytocin im Tierreich eine Schlüsselrolle für die Steuerung von komplexen emotionalen und sozialen Verhaltensweisen einnimmt. Vom Oxytocin-Niveau im Gehirn ist zum Beispiel abhängig, inwieweit Tiere mütterliche Fürsorge, Bindungsverhalten oder Aggressivität zeigen. Das Hormon verändert die Fähigkeit der Tiere, Furchtreaktionen zu lernen und zu verlernen. Es ist somit offensichtlich ein zentraler Botenstoff für die Steuerung von sozialem Verhalten im Gehirn von Säugetieren.

Regulator sozialer Interaktion

Eine Studie am Zentrum für Psychiatrie der Justus-Liebig-Unviersität Gießen in Zusammenarbeit mit Forschern des amerikanischen National Instituts for Mental Health (NIMH) hat jetzt gezeigt, dass Oxytocin offenbar auch beim Menschen die Aktivierung einer zentralen Stelle der Furchtregulation im Gehirn, der Amygdala, reduziert.

Die jetzt erschienene Arbeit wurde inspiriert durch jüngste Befunde einer Züricher Arbeitsgruppe, die zeigten, dass beim Menschen durch Oxytocin das Ausmaß an Vertrauen, das wir unseren Mitmenschen entgegenbringen, beeinflusst wird. Eine amerikanische Arbeitsgruppe hatte zuvor herausgefunden, dass Kinder, die direkt nach der Geburt ohne mütterliche Fürsorge geblieben sind, bei Interaktion mit ihrer Adoptivmutter weniger Oxytocin ausschütten als Kinder, die behütet aufgewachsen sind.

Um herauszufinden, wie diese Wirkung im Gehirn entsteht, führten die Gießener und amerikanischen Wissenschaftler eine kernspintomographische Studie durch. „Die Bedeutung von Oxytocin für das menschliche Verhalten ist in den letzten Monaten so deutlich geworden, dass es dringend notwendig war, nach den neurobiologischen Ursachen dieser Wirkung zu suchen“ erklärt Peter Kirsch, der am Zentrum für Psychiatrie in Gießen federführend für die Durchführung der Studie verantwortlich war.

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Oxytocinspray versus Placebo

Während 15 männliche gesunde Probanden Bilder mit angstrelevantem Inhalt betrachteten, erfassten die Giessener Neurowissenschaftler ihre Hirnfunktionen. Dabei zeigte sich, dass die selben Personen dann, wenn sie vor der Untersuchung eine geringe Menge an Oxytocin über ein Nasenspray aufgenommen hatten, eine geringere Aktivität der Amygdala, auch Mandelkerne genannt, aufwiesen, als bei einer vorherigen Einnahme eines Placebopräparates.

Diese Reduzierung der Aktivität in den Mandelkernen war bei der Betrachtung von angsterfüllten Gesichtern, also Stimuli mit einer hohen soziale Relevanz, besonders deutlich ausgeprägt. Darüber hinaus zeigte sich, dass die Oxytocingabe die funktionelle Verbindung zwischen den Mandelkernen und Regionen im Hirnstamm, die für die Regulation von körperlichen Angstreaktionen verantwortlich sind, verringerte.

„Wie wir sozial miteinander umgehen ist also zu einem wichtigen Teil von der Oxytocinausschüttung abhängig, wie funktionstüchtig unser Oxytocin-System ist, entscheiden auch frühe Erfahrungen und wo es seine Wirkung entfaltet, zeigt nun erstmals unsere Studie“ ergänzt Kirsch.

Neue Behandlungsansätze möglich

Die neuen Befunde könnten Basis für Ansätze sein, neue Behandlungsstrategien für psychische Störungen, die mit einer übermäßigen Angst, ausgelöst durch eine überaktivierte Amygdala, verbunden sind, zu entwickeln. So ist zum Beispiel bereits gezeigt worden, dass Kinder mit Autismus eine erhöhte Aktivierung der Amygdala bei der Betrachtung von Gesichtern zeigen. „Zukünftige Studien, die derzeit geplant werden, werden die Eignung von Oxytocin für die Behandlung von sozialer Angst bei Kindern mit Autismus überprüfen“, so der Initiator der Studie, Andreas Meyer-Lindenberg, der heute am NIMH in Bethesda forscht.

Meyer-Lindenberg blickt bereits in die Zukunft: „Zukünftige Studien müssen untersuchen, wie das Hormon bei Frauen wirkt, wie das verwandte Hormon Vasopressin wirkt und welche Auswirkungen genetische Veränderungen, die diese Hormone oder ihre Rezeptoren beeinflussen, haben.“ Zumindest die Frage der Wirkung bei Frauen wird man in Kürze beantworten können. Eine solche Studie, erneut als Kooperation zwischen den Gießener und den amerikanischen Neurowissenschaftlern, wird derzeit am Zentrum für Psychiatrie der Justus-Liebig-Universität durchgeführt.

(Universität Gießen, 14.12.2005 – NPO)

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