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Neurobiologie

Gehirn: „Teamwork“ der Nervenzellen beginnt im Mutterleib

Frühe Kopplung von Neuronen in Großhirnrinde entdeckt

Die Nervenzellen der Großhirnrinde schließen sich bereits vor der Geburt zu Netzwerken zusammen und tauschen Informationen aus. Dies haben jetzt Wissenschaftler der Universität Mainz herausgefunden. Sie konnten zeigen, dass sich die Nervenzellen früher als bisher vermutet in Säulenform anordnen und dass sie sich über elektrische Aktivität selbst organisieren. Die Forscher berichten über ihre Ergebnisse in der aktuellen Online-Version des Wissenschaftsmagazins Nature.

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Das Wissenschaftlerteam um Professor Dr. Heiko J. Luhmann vom Institut für Physiologie und Pathophysiologie hat in einer Studie die Entstehung unreifer neuronaler Netzwerke an Hirnschnittpräparaten von neugeborenen Mäusen untersucht. Die Wissenschaftler stellten fest, dass sich 20 bis 50 Nervenzellen durch oszillierende elektrische Aktivität säulenförmig aneinander koppeln. Derartige Säulen, Kolumnen genannt, stellen in der Großhirnrinde aller Säugetiere, auch des Menschen, das Grundprinzip der neuronalen Informationsverarbeitung dar.

Sinnesreize aus der Umwelt werden in diesen Kolumnen seriell, das heißt der Reihe nach, verarbeitet. Horizontale Verknüpfungen zwischen benachbarten Kolumnen ermöglichen eine gleichzeitige Parallelverarbeitung. „Durch diese frühe Verbindung der Nervenzellen ist das Gehirn zum Zeitpunkt der Geburt schon darauf vorbereitet, neue Sinnesreize aufzunehmen und zu verarbeiten“, erläutert Luhmann.

Elektrische Aktivität selbst organisiert

Lange Zeit nahmen Forscher an, dass kortikale Kolumnen erst nach der Geburt entstehen und dann während so genannter kritischer Perioden erfahrungsabhängig, das heißt durch frühe Sinneseindrücke und Lernprozesse, verändert werden. Die in Mainz erhobenen Daten zeigen jedoch, dass sich diese Module in der Großhirnrinde bereits sehr früh ausbilden und dass sie sich durch elektrische Aktivität selbst organisieren.

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Dabei erfolgt die frühe Kopplung von Nervenzellen in einer kortikalen Kolumne nicht wie erwartet über chemische Verbindungen, sondern über elektrische Synapsen, also direkte Zellkontakte in Form von gap junctions. Durch feine Poren in der Zellmembran können dabei zwischen zwei ganz nah beieinander liegenden Zellen Ionen wandern, es fließt also elektrischer Strom. Das Gehirn tauscht diese Form der Informationsvermittlung schon sehr schnell nach der Geburt gegen die herkömmlichen chemischen Übertragungsprozesse aus.

Ergebnisse auf den Menschen übertragbar?

Da die Entwicklungsprozesse im Gehirn neugeborener Mäuse mit denen des Menschen vor der Geburt vergleichbar sind, gehen die Mainzer Neurowissenschaftler davon aus, dass beim Menschen vermutlich ähnliche Selbstorganisationsprozesse bereits vor der Geburt auftreten. Nun können diese gap junctions, also die Verbindungen, über die elektrische Signale direkt ausgetauscht werden, durch eine Vielzahl von Substanzen beeinflusst werden. Die neuen Befunde lassen daher vermuten, dass die neuronalen Selbstorganisationsprozesse beim ungeborenen Baby beispielsweise durch Narkosemittel oder Drogenmissbrauch der Mutter während der Schwangerschaft verändert werden. In Zukunft möchte die Arbeitsgruppe von Luhmann genau dieser Frage nachgehen.

(idw – Universität Mainz, 06.12.2005 – DLO)

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