Der Anblick ist vertraut – ein Mensch hält eine Karte in der Hand und dreht sie in alle möglichen Richtungen. Er findet sich nicht zurecht. Dabei sind alle herkömmlichen Karten so ausgerichtet, dass am oberen Kartenrand Norden liegt. Doch wo ist Norden fragt sich der Tourist? Und überhaupt warum sind die Karten denn so ausgerichtet, dass immer Norden oben ist?
Immer? Nein, nicht immer und auch noch nicht lange. Auch wenn heute alle offiziellen Karten nach Norden ausgerichtet sind, so ist diese Konvention der Kartographen und Seefahrer noch nicht so alt. Prof. Joachim Neumann von der Deutschen Gesellschaft für Kartographie erklärt: „Bis ins 15. Jahrhundert zeigten christliche Weltkarten Osten oben, dort lagen nämlich die heilige Stadt Jerusalem und das Paradies. Aus dieser Zeit stammt auch der Begriff "orientieren" wörtlich übersetzt „nach Osten ausrichten“.
Mappae Mundi
Vom 9. bis zum 15. Jahrhundert prägten christlichen Karten, die so genannten Mappae Mundi das Bild der Welt. Marianne Gebers von der Universität Hannover erklärt weiter: „Auf den kreisrunden Mappae Mundi sehen die Länder nicht so aus, wie wir sie aus dem Schulatlas kennen. Wer nach vertrauten Umrissen sucht, sucht vergeblich. Länder wurden nicht nach ihrem geographischen Aussehen gezeichnet, sondern durch einen Schriftzug benannt. Städte durch Burgen oder Türme dargestellt. Es gibt Berge, Flüsse, Meere oder Land. Mehr war von der Erdoberfläche nicht wesentlich. Die Lage eines Ortes wurde nicht durch Messungen bestimmt, sondern durch die Überlieferung der Bibel oder anderer von der Kirche anerkannter Texte.“
Doch nicht nur der christliche Glaube prägte den Blick auf die Welt: Arabische Karten waren noch bis ins 20. Jahrhundert mit der Oberkante gen Mekka ausgerichtet, um die Gläubigen an die Pilgerfahrt nach Mekka zu erinnern, die der Islam einmal im Leben vorschreibt. Da vor allem die christlich begründeten Mappae Mundi nicht geeignet waren, um sich danach zu orientieren, existierten parallel die so genannten Portolan-Karten. Sie dienten mehr oder weniger als Küstenführer und enthielten genaue Küstenlinien, detaillierte Informationen über Häfen, Buchten, Klippen und Untiefen – kurz alles was der Navigator eines Schiffes braucht, um sicher von einem zum nächsten Hafen zu kommen.. Zunächst waren diese Karten nach Süden oder Norden ausgerichtet, Mitte des 15. Jahrhunderts setzte sich die nördliche Ausrichtung durch.
Nordausrichtung erst ab 1300
Erst als die Araber um 1300 den Magnet-Kompass von China nach Europa einführten, wurden nach Norden ausgerichtete Karten häufiger. Um Land zu vermessen oder sich auf See zu orientieren wurde der Kompass schnell unersetzlich. Ab dem 14. Jahrhunderts orientierten sich immer mehr Seefahrer an der nach Norden zeigenden Kompassnadel. Der internationale Seehandel nahm zu und Schiffseigner und Kapitäne verlangten nach genaueren und einheitlichen Karten – da machte es Sinn, die Karten nach Norden auszurichten.
Der kirchliche Einfluss nahm in dieser Zeit ab, und die genaue wissenschaftliche Darstellung der Natur auch in Karten gewann an Einfluss. In dieser Zeit entstanden schon erstaunlich genaue Karten, die ganze Kontinente zeigten. Als sich die astronomischen und terrestrischen Messverfahren im 18. Jahrhundert weiter verbesserten, entstanden noch genauere Kartennetze. Aber auch diese waren nicht immer nach Norden ausgerichtet. "Bei militärischen Karten hing die Ausrichtung oft damit zusammen, wo der Feind stand", sagt Oswald Dreyer-Eimbcke, der gerade sein sechstes Buch über Karten vorgestellt hat. „Und Berliner Stadtkarten waren noch im 19. Jahrhundert südorientiert.“
Heute sind zumindest alle offiziellen Karten nach Norden ausgerichtet. Vor kurzem entwarf allerdings ein australischer Kartograph eine Karte, bei der Australien nicht „down under“ sondern obenauf dargestellt ist. Sie zeige das wahre Bild der Erde, behauptet er.
(Deutsche Gesellschaft für Kartographie, Prof. Dr. Joachim Neumann, 26.02.2004 – Kirsten Achenbach, DFG-Forschungszentrum Ozeanränder Bremen)