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Neurobiologie

Großhirnrinde überrascht Forscher

Neue Erkenntnisse scheinen bisherige „Protokortex“-Theorie zu widerlegen

Die Großhirnrinde ist der Sitz unseres Denkens und Bewusstseins – aber wie ist sie entstanden? Amerikanische Forscher sind zu dem überraschenden, jetzt in „Science“ veröffentlichten Ergebnis gelangt, dass die bisherigen Annahmen über die Entwicklung dieser hochkomplexen Hirnstruktur aus Vorläuferzellen offenbar falsch waren.

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Der zerebrale Kortex, unsere Großhirnrinde, besteht aus mehr als zehn Milliarden Nervenzellen und ist in verschiedene, miteinander verknüpfte Funktionsbereiche gegliedert. In ihnen werden jeweils bestimmte Aspekte der Wahrnehmung, Bewegung und des Denkens verarbeitet und kontrolliert. Nach der seit 1990 gängigen Lehrmeinung hat diese komplexe Struktur ihren Ursprung in einer Zone von „Ursprungszellen“ im Embryo – einem zunächst ziemlich homogenen Zellklumpen. Erst durch den Einfluss von Signalen langer Nervenfasern aus dem Thalamus, der „Schaltzentrale“ des Gehirns, so die bisherige Ansicht, differenziert sich die spätere Kortexstruktur aus.

Doch Mriganka Sur, Professor für Neurowissenschaften am Massachusetts Institute of Technology und John L. R. Rubenstein von der Universität von Kalifornien in San Francisco könnten jetzt genau diese so genannte „Protokortex“-Theorie widerlegt haben. Ihre Studie deutet daraufhin, dass die Ausbildung der kortikalen Bereiche auf einer komplexen, miteinander verwobenen Kaskade von Entwicklungsereignissen beruht. Eine „reiche Anordnung von Signalen“, so die beiden Forscher, einige davon intern, andere aber von außen einwirkend, prägen die Kortexentwicklung.

“Aktuelle Erkenntnisse haben das Verständnis dafür verändert, wie sich der Kortex bildet, sich mit anderen Hirnregionen verbindet und einzigartige Verarbeitungsnetzwerke schafft und sie an Veränderungen in den eintreffenden Reizen anpasst“, erklärt Sur. „Diese grundlegenden Mechanismen der kortikalen Entwicklung sind zentral für unser Verständnis auch von Störungen in der Hirnentwicklung.“

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Sur und seine Kollegen stießen im Rahmen ihrer Erforschung der genetischen, molekularen und verhaltenphysiologischen Ursachen des Autismus auf ihre neuen Erkenntnisse. Ihrer Ansicht nach ist der genetische Aspekt in Form von Transkriptionsfaktoren im frühen, pränatalen Entwicklungsstadium der Schlüsselfaktor für die Kortexbildung. Die Transkriptionsproteine, die das Auslesen der DNA steuern, kontrollieren auch die Entstehung und das Wachstum neuer Neuronen, ihre Bewegung und Verknüpfung innerhalb des Gehirns. Erst später, in einer kritischen Phase der Entwicklung, so die Forscher, wirken auch äußere Faktoren auf die Gehirntopographie ein und verändern und verfeinern die vernetzten Strukturen.

(Massachusetts Institute of Technology, 11.11.2005 – NPO)

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