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Neurobiologie

Tödlicher Verkehrsstau in der Nervenzelle

Transportstörung verursacht Nervenkrankheiten wie ALS

"Wobbler"-Maus © Universität Bielefeld

Wissenschaftler aus Deutschland und den USA haben einen bislang unbekannten Mechanismus für neurodegenerative Erbkrankheiten entdeckt. Wertvolle Hilfe erhielten sie dabei von einer Maus: Bei der so genannten „Wobbler- Maus“, die an einem fortschreitenden Verlust von Nervenzellen leidet, ist ein Gen verändert, das eine wichtige Rolle bei Transport und Verteilung von Stoffen in der Zelle spielt.

Schon seit Jahrzehnten kennen Forscher die Labormaus-Mutante der „Wobbler“ – englisch für „Wackler“ – als Modell für die Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) beim Menschen. „Die Tiere leiden an einer fortschreitenden, von Zittern begleiteten Muskellähmung“, erklärt dazu Prof. Harald Jockusch aus Bielefeld, der seit 25 Jahren an diesem Tiermodell forscht. Ursache für die tödlich verlaufende Krankheit ist das Absterben der großen motorischen Nervenzellen im Rückenmark, die die Muskeln des Bewegungsapparats kontrollieren. „Die Symptome ähneln stark denen von ALS-kranken Menschen“, sagt Jockusch.

„An den Wobbler-Mäusen werden deshalb auch Therapien gegen das Absterben von Nervenzellen getestet.“

Der betroffene Erbfaktor, das mutierte Gen, blieb jedoch unbekannt. Die Arbeiten der Bielefelder Forscherteams um Prof. Jockusch und Dr.

Thomas Schmitt-John, inzwischen Professor an der Universität Aarhus in Dänemark, zeigen jetzt: Ein Defekt in einem Gen namens Vps54 ist die Ursache für den Verlust der Nervenzellen bei der Wobbler-Maus – und dieser Befund wirft ein neues Licht auf mögliche Krankheitsmechanismen, die auch für ALS-kranke Menschen von Bedeutung sein können. Die Befunde der Bielefelder Arbeitsgruppe wurden in Zusammenarbeit mit Dr. Andreas Lengeling von der GBF und Prof. Miriam Meisler aus Ann Arbor gewonnen.

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„Im Inneren unserer Körperzellen spielt sich ein reger Containertransport ab“, erklärt Schmitt-John dazu weiter. „Die Container sind mikroskopisch kleine Membranbläschen.“ Bei der Vielzahl verschiedener Transportgüter mit Funktionen an verschiedenen Orten müssen Ladung, Transportrichtung und Zieladresse genau abgestimmt sein. Die Zielfindung des richtigen Container-Terminals wird durch passgenaue Erkennungsmoleküle vermittelt: die „Vesicular protein sorting factors“, kurz Vps.

Der Bauplan für eines dieser Moleküle ist im Gen Vps54 gespeichert. Ist es defekt, können die Vesikel ihr Ziel nicht finden. Warum der resultierende „Verkehrsstau“ innerhalb der Zelle zu einer Nervenschädigung führt, ist noch nicht vollständig verstanden. „Vermutlich sind Nervenzellen gegen Störungen der Stoffverteilung ganz besonders empfindlich, weil sie ständig Signalstoffe austauschen“, erläutert GBF-Wissenschaftler und Projektpartner Dr. Andreas Lengeling. Was die Forscher hoffen lässt: „Wenn man Wobbler-Mäusen ein funktionierendes Vps54-Gen einführt“, berichten Meisler und Lengeling, „werden sie von ihrer Krankheit geheilt. Für den Menschen könnten die beschriebenen Fortschritte in der Grundlagenforschung die Möglichkeit neuer Therapieansätze bringen.

(Universität Bielefeld, 25.10.2005 – NPO)

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