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Neurobiologie

„Bilder“ entstehen im Ohr

Hörzentrum des Gehirns verarbeitet Hör- und Tastsinn gleichzeitig

Unser Gehirn verarbeitet eine wahre Flut von Sinneswahrnehmungen, damit wir uns ein „Bild“ von der Umgebung machen können. Forscher haben nun herausgefunden, dass gehörte und gefühlte Informationen bereits im Hörzentrum des Gehirns verrechnet werden, also früher, als klassisch angenommen. Möglicherweise verhindert diese frühe Verschmelzung eine Fehlinterpretation durch die Reizüberlagerung anderer Sinneseindrücke. Die Ergebnisse werden in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Neuron veröffentlicht.

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Die Verschmelzung von Informationen aus verschiedenen Sinnesorganen, „Multisensorische Integration“ genannt, spielt in unserem Alltag eine wichtige Rolle. Denn viele Tätigkeiten lassen sich nur schwer erledigen, wenn das Gehirn nicht Informationen aus verschiedenen Quellen gleichzeitig bekommt. Zugleich kann man mit Hilfe der Multisensorischen Integration auch Illusionen wie beim „Bauchredner-Effekt“ erzeugen, wo die Wahrnehmung durch Seh- und Hörsinn bewusst überlistet werden. Ein anderer Effekt: Reibt man beispielsweise die Hände aneinander, dann entsteht ein Geräusch, anhand dessen man die Trockenheit beziehungsweise Rauheit der Hände bestimmen kann. Wird dieses Geräusch geschickt manipuliert, dann schätzen Probanden ihre Haut völlig anders ein.

Verarbeitungszentrum gesucht

Mit Hilfe von funktioneller Magnetresonanz konnten Forscher am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen nun zeigen, dass das Verrechnen von Informationen aus den Ohren und dem Tastsinn schon im Hörzentrum des Gehirns, dem auditorischen Kortex, stattfindet, also früher, als klassisch angenommen (Neuron, 20. Oktober 2005). Damit kommen Sie einer Antwort auf eine zentrale Frage der Hirnforschung näher, wo im Gehirn die Multisensorische Integration stattfindet. Klassischer Weise nimmt man an, dass sie nicht in den sensorischen Arealen stattfindet, in denen die Informationen aus den Sinnesorganen ankommen, sondern in einem nachgeschalteten, „höheren“ Hirnareal, dem so genannten Assoziationskortex. Die Information aus den Sinnesorganen, so die Annahme, werde zunächst im Gehirn in spezifischen sensorischen Arealen vorbearbeitet – die auditorische Informationen aus der Hörschnecke zum Beispiel im auditorischen Kortex -, und erst danach mit den ähnlich vorbearbeiteten Informationen aus den visuellen und taktilen Eindrücken verrechnet.

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Neuere Ergebnisse, darunter die Forschung der Max-Planck-Forscher, zeigen allerdings, dass dies nicht ganz zutreffen kann: Die Multimodale Integration findet wohl schon auf den tieferen Ebenen statt. Die Tübinger Wissenschaftler maßen die Aktivität der Hirnzellen im auditorischen Kortex von Rhesusaffen. Bei diesen Affen ist die anatomische Untergliederung des auditorischen Kortex in den primären und sekundären Kortex genau bekannt. Außerdem kann man ihre Gehirne mit höherer räumlicher Auflösung als bei Menschen abbilden; dies ist wichtig, weil die untersuchten Areale kleiner als zwei bis drei Millimeter sind.

Zusammenspiel von Hör- und Tastsinn

Die Ergebnisse zeigen eindeutig, dass die Aktivität im auditorischen Kortex aufgrund eines auditorischen Reizes verstärkt wird, wenn der Reiz mit einer taktilen Stimulation der Hand kombiniert wird. Außerdem fanden die Forscher innerhalb des auditorischen Kortex Gebiete, die auf gleichzeitige Reizung stärker reagierten als auf alle einzelnen Stimuli zusammen – ein klassisches Kriterium zur Identifizierung Multimodaler Integration. Zudem konnten die Forscher zeigen, dass diese Integration im sekundären auditorischen Kortex auftritt.

Einen Grund dafür, dass die Sinnesinformationen so früh im Gehirn verschmolzen werden, vermuten die Wissenschaftler darin, dass das Gehirn auf diesem Wege versucht, falsche „Bilder“ schnell zu verhindern: Sensorische „Bilder“, die zwar zum Eindruck eines einzelnen Sinnes passen, aber über verschiedene Sinne hinweg inkonsistent sind, werden so ausgeschlossen. Diese und weitere Spekulationen müssen aber erst noch gründlich untersucht werden.

(MPI für biologische Kybernetik, 20.10.2005 – AHE)

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