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Neurobiologie

Forscher angeln Hirnzellen

Protein hilft bei gezielter Isolation von Myelinproduzenten

In Kultur gehaltene neurale Vorläuferzellen, die sich zu Gliazellen (grün) und Nervenzellen (rot) differenzieren © Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik

Forscher der Universität Bonn haben eine neue Methode zum Patent angemeldet, mit der sich bestimmte Gehirnzellen weit schneller und einfacher als bisher isolieren lassen. Ihre Erfindung erleichtert nicht nur die Erforschung von Krankheiten wie der Multiplen Sklerose (MS). Die Wissenschaftler hoffen auch zu erfahren, welche Faktoren Stammzellen dazu bringen, sich in Gehirngewebe umzuwandeln.

Im Gehirn sind die Nervenzellen hoffnungslos in der Unterzahl: Nur zehn Prozent des Hirngewebes besteht aus Neuronen, den großen Rest bilden vor allem die sogenannten Gliazellen. Lange hielt man diese lediglich für eine Art Kitt, der den Extrazellulärraum im Gehirn ausfüllt und die Nervenzellen stabilisiert – daher auch der Name: Im Griechischen heißt Glia Kitt oder Leim. Wenn sie nicht richtig funktionieren, können aber Gehirnerkrankungen wie die Multiple Sklerose entstehen.

„Wir interessieren uns für die so genannten Oligodendrozyten“, erklärt Professor Dr. Penka Pesheva von der Bonner Klinik für Nuklearmedizin. „Sie produzieren die fetthaltige Isolierschicht um die Nervenzellen, das Myelin.“ Wenn die Oligodendrozyten nicht richtig funktionieren, kann die weiße Fettschicht „löchrig“ werden. Folge sind Kurzschlüsse und eine langsamere Signalübertragung. So viele Gliazellen es im Gehirn auch gibt: Die Oligodendrozyten sind darunter eher spärlich vertreten. Die Myelin-Produzenten machen gerade mal zwei Prozent des Hirngewebes aus, schätzt Pesheva. „Entsprechend schwierig und teuer ist es, sie zu isolieren“, betont die Zellbiologin: „Es kann Wochen dauern, bis man für Untersuchungen genug Zellen zusammen hat.“

Angel aus Protein

Mit der vom Bonner Privatdozenten Dr. Rainer Probstmeier und ihr entwickelten Methode geht das nicht nur erheblich schneller, sondern auch ganz ohne komplizierte und teure Technik. Mit einem bestimmten Gehirn-Protein, dem „Tenascin-R“, kann man nämlich aus einer Suspension vieler verschiedener Zelltypen ganz gezielt die Oligodendrozyten herausfischen. „Tenascin-R bindet an die Oberfläche von Oligodendrozyten“, sagt Penka Pesheva. „Wir haben daher ein Haftsubstrat hergestellt, das aus Tenascin-R besteht. Wenn wir darauf verschiedene Gehirnzellen geben und das Ganze über Nacht bei 37 Grad stehen lassen, binden die Oligodendrozyten an das Haftsubstrat. Die anderen Zellen lassen sich ganz einfach abwaschen.“

Noch ist die Herstellung von Tenascin-R relativ kompliziert. Die Forscher wollen es daher künftig von gentechnisch veränderten Zellen produzieren lassen – allerdings nicht das komplette Protein, sondern nur den „Angelhaken“ des Tenascins, mit dem es die Oligodendrozyten fängt.

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Spätere Anwendung als Therapeutikum nicht ausgeschlossen

Doch Tenascin-R kann die Hirnzellen nicht nur festhalten – es kurbelt auch ihre Myelin-Produktion an. Vielleicht eignen sich die künstlich hergestellten Proteine daher sogar als Medikament. „Außerdem kann es dafür sorgen, dass sich Stammzellen zu Oligodendrozyten entwickeln“, erklärt Professor Pesheva. Wie der molekulare Tausendsassa das schafft, wollen die beiden Wissenschaftler ebenfalls herausfinden.

Im Vordergrund steht aber zunächst die Untersuchung der defekten Oligodendrozyten. „Wir wollen herausfinden, welche molekularen Veränderungen dafür verantwortlich sind, dass die Zellen nicht mehr richtig funktionieren“, sagt die Professorin. Letztes Ziel ist ein schneller und eindeutiger Test, um Erkrankungen wie MS frühzeitig diagnostizieren zu können. Für die „multiple Sklerose“ gibt es das nämlich noch nicht: Die Patienten müssen bislang eine Reihe von Untersuchungen auf sich nehmen, bis die Diagnose feststeht.

(Universität Bonn, 12.10.2005 – NPO)

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