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Geowissen

Unter dem Vogtland brodelt’s

Neue Erklärung für Schwarmbeben gefunden

Austrittsstelle von Kohlendioxid bei Franzensbad © André Künzelmann/UFZ

Unter dem Cheb-Becken an der Deutsch-Tschechischen Grenze bewegt sich langsam aber sicher Magma auf die Erdoberfläche zu. Das schließen Wissenschaftler des Umweltforschungszentrums Leipzig-Halle (UFZ) und des GeoForschungsZentrums Potsdam (GFZ) aus der Untersuchung aufsteigender Gase in den dortigen Mineralquellen und anderen Austrittsstellen.

Das aufsteigende Magma könnte einer der Auslöser für die so genannten Schwarmbeben sein, die regelmäßig im Vogtland, in Nordwest-Böhmen, im Fichtelgebirge und in der Oberpfalz auftreten. Innerhalb von mehreren Wochen kann es dabei zu Tausenden von schwachen Erdstößen kommen.

Im Rahmen der Messungen über einen Zeitraum von zwölf Jahren haben die GFZ- und UFZ-Forscher gezeigt, dass sich das Verhältnis zweier Heliumisotope in den austretenden Gasen verändert. „Dabei wurden die höchsten Werte in Europa nördlich der Alpen gemessen wie sie sonst nur aus aktiven Vulkangebieten bekannt sind“, so Karin Bräuer vom UFZ.

Für die Wissenschaftler sind diese Veränderungen ein Anzeichen für den Anstieg von magmatischer Aktivität unter dem Cheb-Becken.

Der Atem der Tiefe

Pausenlos steigen Gasblasen an die Wasseroberfläche. Bublák – auf deutsch „das Blubbernde“ nennen die Einheimischen das kleine Wasserloch in einem Sumpfgebiet beim westböhmischen Františkovy Láznì (Franzensbad). Gut versteckt zwischen Sträuchern ist es zwar kaum zu sehen, aber die Geräusche sind nicht zu überhören. In großen Mengen strömt hier Gas aus der Tiefe. Gas, das aus aktiven Magmablasen in etwa 30 Kilometern unter der Erdoberfläche stammt.

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Überall im Dreiländereck Sachsen-Bayern-Böhmen haben die Wissenschaftler in den letzten Jahren Mineralquellen und Gasaustrittslöcher – so genannte Mofetten – untersucht. Keine ist für sie so interessant wie die Mofette Bublák im Egerbecken. Die Wissenschaftler haben hier eine Stelle gefunden, an der Gas fast unbeeinflusst aus dem Erdmantel an die Oberfläche aufsteigt.

„Durch Messungen vor und nach einem kleinen Erdbeben konnten wir die Transportgeschwindigkeit abschätzen“, erzählt Gerhard Strauch vom UFZ. „Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 400 Metern pro Tag bewegt sich das Gas zumindest die letzten sieben bis acht Kilometer nach oben. Das heißt, hier muss es Spalten geben, die bis in große Tiefen führen.“ Ein Glücksfall, denn die Wissenschaftler interessieren sich für einen Bestandteil des Gases, der nur im Erdmantel – also unterhalb von 30 Kilometern – in einer charakteristischen Zusammensetzung vorkommt und der sich auf seinem Weg nach oben verändern kann.

Zusammen mit seinem Kollegen Horst Kämpf vom GFZ Potsdam beugt sich Strauch über das Wasserloch. Er hält einen Trichter ins Wasser, fängt damit die Gasblasen ein und leitet sie über einen Schlauch zur so genannten Gasmaus – einem Zylinder aus Spezialglas mit zwei Öffnungen. Sein Kollege Kämpf hält inzwischen diesen Glaszylinder ins kalte Wasser, damit keine Luft die Probe verunreinigt. Das Gas, das zu mehr als 99 Prozent aus Kohlendioxid besteht, werden die Wissenschaftler später im Labor untersuchen.

Gase als Vulkansensor

Wissenschaftler bei der Probennahme © André Künzelmann/UFZ

““Die Heliumuntersuchungen werden in Kooperation mit unserem Kollegen Samuel Niedermann vom GFZ Potsdam durchgeführt. Das Edelgas Helium kommt zwar nur in sehr geringen Mengen in diesen Gasen vor“, so Bräuer. „Aber es lässt sich am besten nach seinem Ursprung zuordnen.“ Denn Helium kommt in der Natur in zwei stabilen Isotopen vor. Die Heliumisotope haben eine unterschiedliche Anzahl von Neutronen im Atomkern. „Das häufigere Helium-4 wird in der Erdkruste durch radioaktiven Zerfall gebildet. Helium-3 kommt dagegen aus dem darunter liegenden Erdmantel. Das Verhältnis zwischen den beiden Heliumisotopen sagt also etwas darüber aus, aus welchen Tiefen das Gas stammt.“

Das klingt vielleicht nach mathematischen Spielchen, hat aber einen ernsten Hintergrund: Bei Erdbeben oder vulkanischer Aktivität kommen mehr Gase aus tieferen Schichten an die Erdoberfläche als sonst. Die Analyse dieser Gase hilft, Prozesse besser zu verstehen, die in Kruste und Mantel verborgen ablaufen. Die bisherigen Ergebnisse reichen allerdings gegenwärtig noch längst nicht aus, um Vulkanausbrüche oder Erdbeben sicher vorherzusagen. Nur langjährige Messreihen können helfen, dieses Problem in Zukunft in Griff zu bekommen.

Seit Anfang der neunziger Jahre beobachten die Wissenschaftler das Verhältnis zwischen Helium-3 und Helium-4 an verschiedenen Mineralquellen im Grenzgebiet um das Cheb-Becken. Dabei zeigte sich, dass die Werte dort an einigen Stellen in den letzten Jahren deutlich angestiegen sind. „Wir haben in der Mofette Bublák in der Nähe der Grenze zu Sachsen ein Verhältnis der Heliumisotope bis zum 6,2fachen des Wertes von Luft-Helium gemessen“, so Bräuer. „Das ist der höchste Wert, der jemals in Mitteleuropa gemessen wurde. Solche Werte sind sonst nur von aktiven Vulkanen wie dem Ätna bekannt.“ Die Vergleichsmessungen vom Laacher See in der Osteifel zeigten dagegen keine Veränderungen. Aus Sicht der Wissenschaftler bedeutet das: Es tut sich etwas unter der Region rund um das Cheb-Becken. Diese ist inzwischen die Region mit den höchsten Mantelheliumanteilen in Mitteleuropa.

Vulkanausbrüche hat es an der heutigen sächsisch-böhmisch-bayerischen Grenze zuletzt wahrscheinlich vor etwa 300.000 Jahren gegeben. Ein ganzer Tourismuszweig lebt heute von den Spätfolgen des Vulkanismus. Weltbekannte böhmische Heilbäder wie Karlovy Vary (Karlsbad), Mariánské Lázne (Marienbad) oder Františkovy Lázne (Franzensbad), aber auch die sächsischen Kurorte Bad Elster und Bad Brambach sowie Sibyllenbad im Oberpfälzer Wald verdanken ihre Existenz den dortigen sprudelnden Kohlendioxid-Mineralquellen und damit der magmatischen Aktivität im Untergrund.

Für Bewohner und Besucher der Region besteht trotz der neuen Messungen kein Grund zur Sorge: „Wir wissen noch nicht, wie die Magmen zusammengesetzt sind, wie weit die Schmelzen aus über 30 Kilometer Tiefe in die Erdkruste aufsteigen. Nur die Signale aus den Quellgasen geben uns Hinweise, dass sich etwas in den verborgenen Tiefen tut. Dazu ist noch viel Monitoring und umfassende geologische Arbeit erforderlich“, so Kämpf.

Schwärme von Minibeben

Rückblick: 4. September 2000, eine halbe Stunde nach Mitternacht. Ein dumpfes Grollen reißt die Bewohner des vogtländischen Klingenthal aus dem Schlaf. Gläser klirren im Schrank. Ein leichtes Zittern ist zu spüren. Ein Erdbeben der Stärke 3 erschüttert die Region im Dreiländereck. Größere Schäden gibt es nicht. Beunruhigt sind die Vogtländer trotzdem. Ungefähr alle drei Jahre treten hier sehr schwache Beben und im Abstand von mehreren Jahrzehnten mittlere Beben auf. Im Winter 1985/86 wurden beispielsweise Erdstösse bis zur Stärke 4,6 registriert.

„Wir hatten das Glück, dass unsere Messkampagne vom Frühjahr 2000 bis Dezember 2003 eine lang anhaltende Periode seismischer Aktivität von vier Monaten im Herbst/Winter 2000 einschloss“, so Bräuer. „So konnten wir seismisch bedingte Veränderungen in der Isotopenzusammensetzung der Gase nachweisen.“ Wenn die Erde im Vogtland bebt, dann tut sie das zwar nicht heftig aber dafür ausdauernd. Innerhalb von mehreren Wochen kann es dann zu Tausenden von schwachen Erdstößen kommen. Die Spannungen entladen sich nicht in einem großen Beben sondern in vielen kleinen Minibeben. Die Wissenschaftler nennen dieses Phänomen Schwarmbeben. Erdbeben entstehen in der Regel an Grenzen zwischen zwei tektonischen Platten.

Von diesen tektonisch aktiven Plattengrenzen ist das Vogtland aber weit entfernt. Die Gasuntersuchungen könnten jetzt eine Erklärung für das Auftreten der Schwarmbeben in dieser Region liefern. Aus dem Erdmantel steigt entgasendes Magma in die Erdkruste auf. „Es könnte sein, dass sich durch den Aufstieg des Magmas der Druck des Kohlendioxids in bestimmten Krustenbereichen erhöht und so die Schwarmbeben in einer Tiefe zwischen 6 und 14 Kilometern ausgelöst werden“, erklärt Bräuer die neue Hypothese.

Neue Wege in der Erdbebenforschung

Bis die ehemaligen Vulkane wieder Feuer speien, können noch Hunderttausende von Jahre vergehen. Auch mit starken Erdbeben ist in diesem Zeitraum nicht zu rechnen. Schwache Erdbeben werden dagegen nicht so lange auf sich warten lassen. In den letzten Jahren ist die geophysikalische Untersuchung von Erdbeben weiter vorangeschritten.

Stoffliche Untersuchungen dieser Prozesse führen dagegen immer noch ein Nischendasein. „Es ist wichtig, dass zukünftig den isotopengeochemischen Zeitreihenmessungen die gleiche Bedeutung zukommt wie der traditionellen Erdbebenforschung, die weltweit seismologische Erdbebenstationen und Netze betreibt. Beide können sich gut ergänzen und die Wissenschaft ein Stück weiterbringen“, meint Horst Kämpf, der zusammen mit Gerhard Strauch seit den 80er Jahren dazu forscht. „Isotopenmessungen werden bisher noch wenig angewendet, da sie vergleichsweise teuer und zeitaufwendig sind.“ Dazu kommt noch, dass diese Gasuntersuchungen bisher noch nicht automatisch erfolgen können – im Gegensatz zu den physikalischen Messmethoden, wo der Ausschlag eines Zeigers elektrisch registriert und innerhalb von Sekunden weltweit per Internet verbreitet werden kann.

Die Wissenschaftler aus Halle und aus Potsdam wollen deshalb künftig jeden Monat eine Messung vornehmen, um die magmatische Aktivität unterhalb des Cheb-Beckens zu beobachten.

(idw – Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle, 23.09.2005 – DLO)

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