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Neurobiologie

Gehirnforschung mit Botox & Co.

Nervengifte helfen bei der Aufklärung neuronaler Kommunikationsmechanismen

Tetanustoxin oder Botox sind gefährliche Nervengifte, auch wenn Botox inzwischen niedrigdosiert als Faltenhemmer in der Schönheitsmedizin eingesetzt wird. Doch jetzt haben sich diese Gifte auch als wichtige Werkzeuge für die Neurophysiologen entpuppt: Denn mit ihrer Hilfe konnten Wissenschaftler Kommunikationsmechanismen im Gehirn aufklären.

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Wissenschaftler des DFG Forschungszentrums Molekularphysiologie des Gehirns (CMPB) in Göttingen sind dem Verständnis der molekularen Mechanismen, die für die Informationsübertragung zwischen Nervenzellen verantwortlich sind, ein Stück näher gekommen. Mit elektrophysiologischen Ableitungen haben sie die Auswirkungen von Nervengiften auf die neuronale Botenstoffübertragung gemessen. Dabei fanden sie Antworten auf die Frage, warum einige der Toxine die Informationsübermittlung komplett ausschalteten, während andere diese Übertragung nur verlangsamten. Ihre Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Science veröffentlicht.

Gifte blockieren Signalübertragung

Bei Nervengiften, wie Tetanustoxin oder Botulinumtoxin, kurz Botox, denken die meisten zunächst an tödlich verlaufende Infektionen wie Wundstarrkrampf oder an die Schönheitsmedizin, die mit Hilfe von Botox ungeliebte Hautfältchen bekämpft. Die Moleküle, die sich hinter diesen Namen verbergen, stören die Signale des zentralen Nervensystems (ZNS) derart, dass sie todbringende Krämpfe oder Lähmungen verursachen, oder aber – in feiner Dosierung – Spannungen in Muskeln lösen und somit Hautfalten verschwinden lassen. Wissenschaftler nutzen diese Eigenschaften, um die komplexen Mechanismen der Kommunikation zwischen Nervenzellen besser zu verstehen.

Diese neuronale Kommunikation findet an speziellen Kontaktstellen – den Synapsen – statt. Hier sind die Nervenenden der vorgeschalteten Zelle durch einen winzigen Spalt von der nachgeschalteten Zelle getrennt. Die Information muss über diesen Spalt hinweg weitergeleitet werden. Dies geschieht durch eine Verkettung elektrischer und chemischer Reaktionen.

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Ein elektrischer Impuls in der Nervenendigung setzt dort einen molekularen Mechanismus in Gang, durch den diese Zelle Botenstoffe (Neurotransmitter) freisetzt, die wiederum einen elektrischen Impuls in der nachgeschalteten Zelle auslösen. Diese Neurotransmitter lagern, von einer Membran umhüllt, in kleinen Speicherbläschen am Ende des präsynaptischen Neurons. Damit die Vesikel ihren Inhalt in den Synapsenspalt ausschütten können, müssen sie geöffnet werden, das heißt die Membran der Vesikel muss kurzfristig mit der Zellmembran verschmelzen.

Vesikelbildung und –verschmelzung gestört

Genau bei dieser Verschmelzung setzt die Wirkung von Nervengiften wie Tetanustoxin oder Botox an. Denn sie zerschneiden jene Proteine, die das Herzstück der synaptischen Transmission bilden – den SNARE-Komplex. Dieser Komplex besteht aus drei Proteinen, von denen zwei – Syntaxin und SNAP25 – in der Zellmembran und das dritte – Synaptobrevin – in der Vesikelmembran verankert sind.

Wenn sich ein Vesikel an der Zellmembran anlagert, gehen diese drei Proteine eine sehr stabile Bindung ein, so dass genügend Energie frei wird, um die Membranen verschmelzen zu lassen. Nach dem Reißverschlussprinzip heften sich die in den Membranen verankerten Proteine aneinander und ziehen sie auf diese Weise dicht zusammen.

Nervengifte wirken jeweils unterschiedlich

Takeshi Sakaba und seine Kollegen haben nun gezeigt, dass verschiedene Toxine diesen Prozess auf unterschiedliche Weise stören. Je nach Angriffspunkt und Zielmolekül wurde der Informationsfluss entweder komplett unterbrochen oder nur verlangsamt. Die erste Art der Wirkung – die komplette Unterbrechung des Prozesses – wurde durch die Toxine Tetanustoxin (TENT) und Botulinumtoxin, Typ C1 (BoNT/C1) erzielt. Über diese Toxine ist bekannt, dass sie die Verankerung der SNARE-Proteine Synaptobrevin und Syntaxin mit den jeweiligen Membranen kappen. Es war daher nicht erstaunlich, dass die Fusion der betroffenen Vesikel mit der Zellmembran vollständig unterbunden wurde. Die durch den ?Reißverschluss? ausgeübten Kräfte konnten ja nicht mehr für die Verschmelzung der Membranen genutzt werden.

Ganz anders zeigte sich die Wirkung des Toxins Botulinumtoxin, Typ A (BoNT/A), welches das dritte im SNARE-Komplex beteiligte Protein SNAP25 angreift. Anders als BoNT/C1 und TENT entfernt dieses Toxin lediglich ein kleines Peptid, bestehend aus neun Aminosäuren, an einem Ende des Proteins SNAP25. Wie die Wissenschaftler feststellten, war die Konsequenz für die Verschmelzung der Membranen weniger radikal als bei den anderen Toxinen. Da die Membrananker auf beiden Seiten intakt blieben, konnten die Kräfte noch wirken. Allerdings war die bei der Komplexbildung freiwerdende Energie reduziert.

Mit anderen Worten: die Proteine des SNARE Komplexes konnten sich nicht mehr auf der ganzen Länge aneinander heften, so als würden bei einem Reißverschluss die letzten drei Zähne fehlen. Der Komplex wurde dadurch weniger stabil und setzte entsprechend weniger Energie frei. Die Wissenschaftler beobachteten jedoch, dass die Wirkung des Toxins BoNT/A durch eine erhöhte Konzentration von Kalzium kompensiert werden konnte.

Noch offene Fragen

Die Studie hat das Verständnis der Informationsübertragung zwischen Nervenzellen um ein Puzzelstück erweitert. So konnte insbesondere die molekulare Rolle des SNARE Komplexes besser beschrieben werden. Dennoch hat die Studie weiterführende Fragen aufgeworfen: Wie groß ist der Energieverlust, der durch BoNT/A herbeigeführt wird? Welche Rolle spielt das Kalzium? Antworten auf diese Fragen versprechen Fortschritte nicht nur im Umgang mit Toxinen, sondern auch im Verständnis der synaptischen Transmission, einem der grundlegenden Signalmechanismen des Gehirns.

(DFG Forschungszentrum für Molekularphysiologie des Gehirns, 26.07.2005 – NPO)

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