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Medizin

Influenza-Pandemie: Deutschland schlecht gerüstet?

Deutsche Gesellschaft für Infektiologie kritisiert Notfallvorbereitungen

Ein Übergreifen der Vogelgrippe auch auf den Menschen und damit eine Epidemie globalen Ausmaßes ist nach Ansicht von Experten nur eine Frage der Zeit. In Deutschland werden daher bereits jetzt Medikamente für den Ernstfall beschlossen und angeschafft. Doch ob diese Vorbereitungen optimal sind, darüber streiten sich die Gelehrten.

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Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Meinung zahlreicher Experten ist eine weltweite Influenzapandemie nur eine Frage der Zeit. Welches Influenza A-Virus der apokalyptische Reiter sein wird, ist dabei nicht vorhersehbar. Im Augenblick geht die größte Gefahr von dem Vogelgrippevirus H5N1 aus, das sich seit 1997 fest in der Vogelpopulation Südostasiens etabliert hat und für mehrere Epidemien in den dortigen Geflügelbeständen verantwortlich ist.

Virus schon auf Schweine übergegangen

Die erhebliche Mutationsfähigkeit dieses Virentyps hat schon jetzt dazu geführt, dass die Todesrate im infizierten Geflügel von Jahr zu Jahr anstieg. Besondere Sorge bereitet den Experten die Tatsache, dass inzwischen auch im Schwein der Influenzavirustyp H5N1 nachgewiesen wurde, das damit bei gleichzeitiger Empfänglichkeit für humane Influenzaviren eine ideale Möglichkeit für die Entstehung eines auch menschenpathogenen und leicht übertragbaren Vogelgrippevirus bietet.

Die Entstehung einer auch leicht von Mensch-zu-Mensch übertragbaren Virusvariante ist daher sehr wahrscheinlich. Seit Beginn 2004 sind bereits rund 100 Menschen in Südostasien an der Vogelgrippe erkrankt; die Sterblichkeit war deutlich höher als bei der „normalen“ Influenza und lag bei 50-80 Prozent.

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Vorbereitungen laufen

Ohne umfassende Vorbereitungsmaßnahmen droht nach Ansicht der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI) eine medizinische Katastrophe. Nach Modellrechnungen müsse in Deutschland mit bis zu 20 Millionen zusätzlichen Arztbesuchen, 600.000 stationär behandlungspflichtigen Patienten und bis zu 160.000 Toten gerechnet werden.

Unter anderem deshalb läuft zur Zeit auch in Deutschland die Umsetzung eines Influenza-Pandemieplanes auf Hochtouren. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat einen Plan erstellt, der im Detail Vorschläge zum Management von Erkrankten, der medizinischen Versorgung im ambulanten und stationären Bereich und der Bevorratung mit antiviralen Medikamenten und Impfstoffen konkretisiert hat.

Impfstoffe kommen zu spät

Impfstoffe werden frühestens ein halbes Jahr nach Beginn der Pandemie zur Verfügung stehen, und dann auch nicht in ausreichender Menge. In den ersten Monaten einer Pandemie ist daher eine Behandlung mit antiviralen Mitteln und die Vorbeugung gegen eine Ansteckung die einzige Möglichkeit, die Seuche einzudämmen. Die DGI und weitere deutschen Fachgesellschaften empfehlen im Einklang mit der WHO dafür den antiviralen Wirkstoff Oseltamivir als erste Option zur Prophylaxe und Therapie.

Streit um antivirale Wirkstoffe

Die Konferenz der Landesgesundheitsminister hat in ihrer letzten Sitzung beschlossen, welche Antivirenmittel eingelagert werden sollen. Doch genau hier ist nun er Streit entbrannt: Denn nach Ansicht der Infektionsmediziner der DGI wurden die Entscheidungen nach wirtschaftlichen, nicht aber nach medizinischen Gesichtspunkten gemacht:

Der Pandemieplan der WHO empfiehlt die Bevorratung mit dem antiviralen Wirkstoff Oseltamivir (Tamiflu(R)) sowohl zur Therapie als auch zur Prophylaxe. Dieser ist jedoch nicht billig. Die Politiker haben nun beschlossen, neben Oseltamivir auch Zanamivir zu bevorraten, ein nur per Inhalation einsetzbarens Mittel. Nach Ansicht der Experten ist das Medikment jedoch zur Behandlung der Vogel-Influenza ungeeignet, da die bisher vorliegenden Daten von an H5N1 Erkrankten zeigen, dass es bei Behandlung mit Zanamivir zu einer schweren viralen Lungenentzündung kommt, mit Viren im Lungengewebe und teilweise auch in anderen Organen wie Gehirn oder Herzmuskel. Hier könne daher nur eine auch systemisch – auf den gesamten Körper wirkende – Substanz empfohlen werden.

Nach Meinung der DGI müsse noch einmal neu beraten werden, denn der Verlust an Menschenleben und die wirtschaftlichen Schäden einer Pandemie überstiegen die Kosten für eine ausreichende Bevorratung um ein Vielfaches. Für die ungleich geringere Gefahr einer Pockenepidemie wurde schließlich vor Jahren für die deutsche Gesamtbevölkerung ein Impfstoffvorrat mit Kosten in dreistelliger Millionenhöhe angelegt.

(Deutsche Gesellschaft für Infektiologie, 12.07.2005 – NPO)

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