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Energie

Kernfusionsfeuer wird gezündet

Standort für die internationale Testanlage ITER festgelegt

Die internationale Testanlage für die Kernfusion ITER wird gebaut und zwar im südfranzösischen Cadarache. Darauf haben sich die Projektpartner – Europa, Japan, Russland, die USA, China und Südkorea – gestern nach zähen, fast zweijährigen Verhandlungen bei einem Treffen in Moskau geeinigt. Zuvor hatte Japan sein Standortangebot Rokkasho zurückgezogen.

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Der Experimentalreaktor ITER (lat.: „der Weg“) ist der nächste große Schritt der weltweiten Fusionsforschung. Die Anlage soll zeigen, dass ein Energie lieferndes Fusionsfeuer möglich ist. Die weltweite Fusionsforschung hat sich zum Ziel gesetzt, kommerzielle Fusionskraftwerke zu entwickeln, die nach dem Vorbild der Sonne aus der Verschmelzung leichter Atomkerne Energie gewinnen. Der Brennstoff ist ein sehr dünnes ionisiertes Gas – auch Plasma genannt – aus den Wasserstoffarten Deuterium und Tritium, die zu Helium verschmelzen.

Mit dem Experimentalreaktor ITER soll der Durchbruch gelingen: Erstmals wird um ein Vielfaches mehr Energie gewonnen als zur Zündung des Fusionsfeuers bei 100 Millionen Grad Celsius aufgewendet wird. Die projektierte Leistung des ITER liegt mit 500 Megawatt bereits im Bereich großer Kraftwerke. Nach einer Bauzeit von etwa zehn Jahren werden rund 600 Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker rund zwanzig Jahre an der Anlage arbeiten.

Entscheidung für Cadarache einhellig begrüßt

Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn hat die Entscheidung für Cadarache (Frankreich) als Standort des geplanten Fusionsreaktors ITER begrüßt. „Der europäische Standort bietet Deutschland optimale Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit in der Forschung und der deutschen Industrie die Chance für lukrative Aufträge“, sagte Bulmahn am Dienstag in Berlin.

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Die Realisierung von ITER stelle eine große wissenschaftliche und technologische Herausforderung dar, die nur in weltweiter Zusammenarbeit zu bewältigen sei, sagte Bulmahn. In vielen Bereichen, wie beispielsweise der Magnetspulentechnologie, der Vakuumtechnik oder Materialentwicklung, könne die deutsche Industrie und Forschung von dem neuen Großforschungsgerät profitieren.

„Wir freuen uns sehr, dass die wichtige ITER-Entscheidung gefallen ist und ein europäischer Standort ausgewählt wurde“, erklärte auch Professor Alexander Bradshaw, der wissenschaftliche Direktor des Max-Planck- Instituts für Plasmaphysik (IPP) in Garching und Greifswald. „Die europäischen Fusionszentren müssen ITER nun angemessen unterstützen.

Ein leistungsfähiges begleitendes Fusionsprogramm müsse sicherstellen, dass in Europa – und damit auch in Deutschland – für den in rund zehn Jahren beginnenden Forschungsbetrieb genügend Wissenschaftler ausgebildet werden. Ebenso soll es die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die an der Großanlage ITER erzielten Kenntnisse der Forschung und Industrie in den beteiligten Ländern zugute kommen und sie in die Lage versetzten, ein Fusionskraftwerk zu planen und zu bauen.“

Finanzielle Einigung erfolgte bereits im Mai 2005

Bereits im Mai hatten sich die Projektpartner in einer bilateralen „technischen Vereinbarung“ zwischen Japan und Europa auf die Aufteilung der Investitionskosten von 4,6 Milliarden Euro auf den Gastgeber und die übrigen Partner geeinigt: Der Gastgeber – wie jetzt feststeht, Europa – übernimmt die Standortkosten, d.h. 20 Prozent der Gesamtsumme, die Hälfte davon trägt Frankreich.

Die verbleibenden 80 Prozent sind die eigentlichen Baukosten der Anlage: Europa übernimmt 30 Prozent, Japan, China, Russland, die USA und Südkorea je 10 Prozent, und zwar im wesentlichen in Form fertiger Bauteile, die in den jeweiligen Ländern hergestellt und dann nach Cadarache geliefert werden.

Zum Ausgleich für den entgangenen ITER-Standort werden Japan Vorzugsbedingungen eingeräumt: An die japanische Industrie werden Fertigungsaufträge im Umfang von 20 Prozent der Kosten gehen, wobei die Hälfte aus dem europäischen Kostenbeitrag finanziert wird. Auch 20 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter kann Japan stellen. Zudem wird die EU zu weiteren Forschungsprojekten in Japan beitragen, die das ITER- Projekt im Rahmen eines „breiter angelegten Konzepts“ ergänzen, zum Beispiel zu einer Materialtestanlage. Weitere Einzelheiten wie die Rechtsform des supranationalen Projekts und seine Organisation sollen in einem späteren Abkommen festgelegt werden.

IPP und Forschungszentrum Karlsruhe beteiligt

Das Max-Planck- Instituts für Plasmaphysik, eines der größten Fusionszentren in Europa, arbeitet mit seinem Fusionsexperiment ASDEX Upgrade seit Jahren an ITER-relevanten Fragen. Die physikalischen Grundlagen für den Testreaktor wurden in wesentlichen Teilen im IPP entwickelt. Mit seiner ITER-ähnlichen Geometrie wird ASDEX Upgrade auch in Zukunft eine große Rolle spielen, zum Beispiel bei der Suche nach optimierten Betriebsweisen für den Testreaktor. Daneben entwickelt das IPP Teile der Plasmaheizung von ITER sowie Analyseverfahren für das Plasma.

Die internationale ITER-Planungsgruppe (Joint Work Site Europe) ist seit Projektbeginn 1988 am IPP in Garching zu Gast. Mit dem Baubeginn von ITER wird sie jedoch zusammen mit Teilen der ebenfalls am IPP ansässigen Europäischen Technologieplanungsgruppe EFDA (European Fusion Development Agreement) nach Cadarache bzw. nach Barcelona in Spanien verlagert, wo die „ITER European Legal Entity“ ihren Sitz haben wird.

Auch das Forschungszentrum Karlsruhe ist im Rahmen des europäischen Fusionsprogramms seit vielen Jahren federführend an der Entwicklung von Technologien für ITER beteiligt. Zur Aufheizung des Plasmas auf Temperaturen um 100 Millionen Grad Celsius wurden Mikrowellenröhren – im Prinzip ähnlich wie die Mikrowelle in der Küche – entwickelt, die mit Ausgangsleistungen von ein bis zwei Megawatt (ein Megawatt entspricht der Leistungsaufnahme von etwa 1500 Küchenmikrowellen) bei einer Frequenz von 140 bis 170 Gigahertz Weltspitze sind.

Das heiße Plasma muss durch starke Magnetfelder – hunderttausendfach stärker als das Erdmagnetfeld – eingeschlossen werden, denn kein Material würde derartige Temperaturen aushalten. Dazu benötigt man große supraleitende Magnetspulen, weil normal leitende Spulen praktisch die gesamte gewonnene elektrische Energie verbrauchen würden. In der Testanlage TOSKA des Forschungszentrums gelang es weltweit erstmals, eine solche gemeinsam mit der Industrie entwickelte Spule ohne Verluste mit Stromstärken von 80 000 Ampère zu betreiben.

Geschlossener Kreislauf

Der Brennstoff für den Fusionsreaktor wird in einem geschlossenen Kreislauf prozessiert: Das Deuterium-Tritium-Gemisch wird im Plasma verbrannt, die „Asche“ Helium und unverbrannter Brennstoff abgesaugt, das Helium abgetrennt und der Brennstoff gereinigt und in das brennende Plasma rückgeführt. Im Tritiumlabor Karlsruhe, einem europaweit einzigartigen Labor, werden die Komponenten dieses Kreislaufes für ITER entwickelt und erprobt.

Die Umwandlung der Energie aus dem Plasma in nutzbare Wärme sowie die Herstellung des in der Natur selten vorkommenden Tritiums aus dem überall verfügbaren Lithium erfolgt in einem zukünftigen Fusionskraftwerk – der nächste Schritt nach ITER – im so genannten Blanket. Als Blanket bezeichnet man die innere Auskleidung der Brennkammer des Kraftwerks. Das Forschungszentrum entwickelt ein solches Blanket, das in ITER in Form von Testkörpern einer Funktionsprüfung unterzogen werden soll.

„Mit ITER werden die physikalischen und technischen Grundlagen geschaffen, um die Fusion als eine nachhaltige, umweltverträgliche Energiequelle zu erschließen, die sich zudem durch günstige Sicherheitseigenschaften und Brennstoffvorräte für viele Jahrtausende auszeichnet“, erläutert Günter Janeschitz, Leiter des Programms Kernfusion im Forschungszentrum Karlsruhe.

(idw – MPI für Plasmaphysik, BMBF, Forschungszentrum Karlsruhe, 29.06.2005 – DLO)

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