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Medizin

Tuberkulose: Erreger sabotieren Fresszellen

Abwehrstrategie der Tuberkulosebakterien aufgeklärt

Fresszellen sind wichtige Akteure des Immunsystems. Sie nehmen Krankheitserreger in ihr Zellinneres auf und zersetzen sie. Doch bei manchen Krankheitserregern wie Mycobacterium, dem Erreger der Tuberkulose, funktioniert dies nicht. Warum dies so ist, haben Wissenschaftler jetzt herausgefunden.

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Ivo Tews, Felix Findeisen und Irmgard Sinning aus dem Biochemie-Zentrum der Universität Heidelberg haben in Zusammenarbeit mit Anita und Joachim Schultz und Jürgen Linder vom Pharmazeutischen Institut der Universität Tübingen die Struktur und Funktion eines Proteins aus dem Tuberkuloseerreger untersucht, das diesen Bakterien helfen könnte, der Verdauung durch die Fresszellen zu entgehen, denn das Protein misst den Säuregehalt der Fresszellen, und gibt den Bakterien so die Chance, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Die Forschungsergebnisse werden jetzt in der Fachzeitschrift Science vorgestellt.

„Immun“ gegen Immunabwehr

Jährlich sterben zwei Millionen Menschen an der Lungenkrankheit Tuberkulose. Vor allem in den Ostblockstaaten werden immer mehr Arzneimittel-resistente Bakterienstämme gefunden, die eine wachsende Seuchengefahr darstellen. Solche Stämme entwickeln sich, wenn die langwierige TB-Behandlung zu früh abgebrochen wird. Mit dem Auftreten von AIDS ergibt sich ein weiteres Gefährdungspotential. Der geschwächte Körper kann die Tuberkulose nicht in Schach halten und es kommt zum Ausbruch der Krankheit mit meist tödlichem Verlauf. Angesichts der fortschreitenden Ausbreitung der TB ist Forschung an diesem Krankheitserreger dringlich.

Die Tuberkuloseerreger unterscheiden sich in vielem von anderen Bakterien, denn sie wachsen sehr langsam und überleben dennoch den Angriff des menschlichen Immunsystems unbeschadet. Das Tuberkulosebakterium wird von den Fresszellen erkannt und aufgenommen. Dort bildet sich eine so genannte Verdauungsvakuole, in der – ähnlich dem menschlichen Magen – ein saures Milieu herrscht und die mit Verdauungsenzymen gefüllt ist. Die meisten Bakterien werden so unschädlich gemacht, nicht aber die Tuberkulosebakterien. Sie können sich sogar vermehren und bleiben vor weiteren Angriffen des Immunsystems geschützt. Wie ist das möglich?

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Einmal in der Vakuole der Fresszelle, ergreift das Tuberkulosebakterium Gegenmaßnahmen, die sein Überleben sichern. Offensichtlich kann es die Fresszelle veranlassen, ihr zerstörerisches Instrumentarium gar nicht erst vollständig auszubreiten. Die Fresszellen verharren in einer für das Bakterium ungefährlichen Starre.

Säure-Sensor identifiziert

Unklar blieb bisher, wie die Bakterien merken, dass sie sich in einer Fresszelle befinden. Die Forschungsergebnisse der Heidelberger und Tübinger Arbeitsgruppen liefern dazu einen Beitrag. Die Forscher argumentieren, dass der Säuregehalt in der Verdauungsvakuole der Fresszelle vom Bakterium wahrgenommen oder gemessen wird. Dies könnte eine gezielte Abwehrreaktion des Tuberkuloseerregers auslösen.

Für einen solchen Mechanismus ist ein molekularer pH-Sensor notwendig.

Genau den glauben die Forscher nun identifiziert zu haben. Es handelt sich um ein Protein des Bakteriums, das den universellen Botenstoff cAMP herstellt, denn dieser wird von dem Protein bevorzugt in einer sauren Umgebung produziert.

Was passiert dabei? Jedes Protein hat eine feste räumliche Struktur.

Für den molekularen pH-Sensor sieht diese bei verschiedenen pH-Werten unterschiedlich aus. Bei neutralem pH, also unter Normalbedingungen, liegt das Protein so vor, dass es kein cAMP produzieren kann. Diese Form wird als „inhibiert“ bezeichnet: die enzymatische Funktion ist gehemmt. Unter sauren Bedingungen ändert sich dagegen der räumliche Aufbau dramatisch und das Protein wird aktiv, es produziert cAMP und übersetzt so die Umgebungsbedingungen stofflich in das Innere der Bakterienzelle.

Die Ergebnisse zeigen auf beeindruckende Weise, wie die effiziente Verbindung von Biophysik und Pharmazeutischer Biochemie neuartige Einblicke in eine altbekannte Krankheit erlaubt. Sollte die Forschung bestätigen, dass dieses neue Molekül tatsächlich ein Schalter ist, der zum Überleben der Bakterien unter sauren Bedingungen beiträgt, so ergäben sich hier neue, interessante Perspektiven für die künftige TB-Behandlung.

(Universität Heidelberg, 13.05.2005 – NPO)

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