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Biotechnologie

Streit um Gentechnikgesetz

Sachsen-Anhalt reicht Verfassungsklage ein

Die Landesregierung Sachsen-Anhalts hat gestern Verfassungsklage gegen das Gentechnikgesetz eingereicht. Das Land will damit nach Angaben der Umweltschutzorganisation Greenpeace die bestehenden Haftungsregeln für gentechnische Verunreinigungen an benachbarten Feldern zu Fall bringen und den Anbau von Gen-Pflanzen erleichtern.

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In ihrer Klageschrift beruft sich die Landesregierung laut Greenpeace auf Paragraf 12 (Berufsfreiheit) und Paragraf 14 (Eigentumsfreiheit) des Grundgesetzes. Das Land erfinde dazu in seiner Klageschrift den neuen Beruf der „GVO-Verwender“ und behauptet, das Gesetz würde diesen Bauern die Berufsausübung unmöglich machen.

„Das Gentechnikgesetz verletzt keine Grundrechte. Nicht der Beruf des Gen-Bauern ist durch die Verfassung geschützt, sondern der Beruf des Landwirtes – unabhängig davon, ob er genmanipuliertes Saatgut ausbringt oder konventionelles“, sagte dazu Henning Strodthoff, Gentechnikexperte von Greenpeace. „Sachsen-Anhalt will die gentechnikfreie Landwirtschaft abschaffen. Das steckt hinter der Klage für die neu erfundene Berufsgruppe der GVO-Verwender“.

Mit den Haftungsregeln setze das Gentechnikgesetz konsequent Artikel III-129-2 des Entwurfes der EU-Verfassung zum Vorsorgeprinzip durch. Danach müssen Bauern, die genmanipulierte Pflanzen anbauen, für damit verbundene Schäden aufkommen. Ohne diese Haftungsregeln müssten sowohl Bio-Bauern als auch konventionell wirtschaftende Landwirte ihre Flächen auf eigene Kosten vor gentechnischer Verunreinigung schützen. Diese Kosten würden landwirtschaftliche Produkte verteuern und die Erwerbsgrundlage der Bauern gefährden.

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Sachsen-Anhalt lässt das Bundesverfassungsgericht mit seiner Klage ein Gesetz prüfen, das bislang noch gar nicht fertig gestellt ist. Zentrale Regelungen zum Beispiel zur guten fachlichen Praxis fehlen noch und sollen laut der Bundesregierung erst im Laufe dieses Jahres verabschiedet werden. Zurzeit liegt das Gentechnikgesetz dem Bundesrat zur Verabschiedung vor.

„Anstatt dort die politische Debatte zu führen, missbraucht die Landesregierung Sachsen-Anhalts das Bundesverfassungsgericht für eine politische Auseinandersetzung über die Gentechnik“, kommentierte Strodthoff.

Gentechnikgesetz nicht mit dem Grundgesetz vereinbar?

„Das Gentechnikgesetz der Bundesregierung ist mit den Grundrechten der Berufsfreiheit, der Wissenschaftsfreiheit, dem Eigentumsschutz und dem Allgemeinen Gleichheitssatz nicht vereinbar“, sagte dagegen Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Horst Rehberger beim Vorstellen der Antragsschrift. Damit sei das Gesetz ein Gentechnikverhinderungsgesetz, das Landwirte diskriminiere, die zugelassenes, gentechnisch verändertes Saatgut anbauen wollten. Gleichermaßen würden Wissenschaftler in einer nicht zu tolerierenden Weise in ihrer Arbeit behindert. Die Chancen der grünen Gentechnik zu nutzen, sei mit dem Gesetz wirtschaftlich und wissenschaftlich nicht mehr möglich, kritisierte der Minister. Die rigide Gesetzgebung entbehre jeder Grundlage und gehe weit über die Anforderungen der Europäischen Kommission hinaus.

Die Biotechnologie wird von der Landesregierung Sachsen-Anhalts als eine der wichtigsten Wachstumsbranchen intensiv gefördert. Mit der 2003 gestarteten Biotechnologieoffensive soll Sachsen-Anhalt systematisch als führende Biotechnologieregion ausgebaut werden. In Sachsen-Anhalt sind im Bereich Biotechnologie insgesamt mehr als 30 Firmen und Forschungseinrichtungen mit rund 2.000 Mitarbeitern ansässig. Derzeit entsteht in Gatersleben, einem der deutschen Zentren der wissenschaftlichen Pflanzenzucht und grünen Gentechnik, ein Gewerbegebiet speziell für Firmen der Pflanzenbiotechnologie. Das Konzept für die 35-Millionen-Investition sieht eine auf die Bedürfnisse der Nutzer ausgerichtete Kombination von Rohbauten, Fertiglaborgebäuden, unbebauten Flächen, Gewächshäusern und Freilandflächen vor. Die ersten Bauten werden im Sommer diesen Jahres bezugsfertig sein.

Kernaussagen aus der Antragsschrift

Die im Gentechnik-Gesetz getroffenen Haftungsregelungen (§ 36 a GenTG) kommen nach Meinung des Landesregierung Sachsen-Anhalt einer verdeckten Gefährdungshaftung gleich. Dadurch wird der Landwirt, der gentechnisch verändertes Saatgut einsetzt, in seiner Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) eingeschränkt.“ Die Haftungsvorschrift hat eine vom Gesetzgeber bezweckte, verhaltenslenkende Funktion für berufsbezogene Tätigkeiten (hier in einem Haftungssonderrecht für den Anbau von GVO). Die Regelungen verstoßen gegen das Rechtsstaatsprinzip und gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Es gibt in Bezug auf die Schwellenwerte keine klare Rechtsordnung, das Haftungsrisiko wird einseitig auf den Verwender von GVO verlagert.

Darüber hinaus verletzen die Haftungsbestimmungen laut Antragsschrift auch den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, weil die GVO-Verwender einseitig belastet werden. Mit Blick auf die Haftungsregelungen wird auch eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG in Bezug auf den Schutz und die freie Nutzung des Eigentums gesehen. „Es ist absurd, dass gentechnisch verändertes Saatgut, das über ein rigides Zulassungsverfahren zur Aussaat genehmigt ist, mit dem neuen Gentechnikgesetz wieder als Gefahrgut eingestuft wird“, beklagte Rehberger.

(Greenpeace, Landesregierung Sachsen-Anhalt, 13.04.2005 – DLO)

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